Mädchen schützen durch alternative Rituale

Ein Projekt gegen die weibliche Genitalverstümmelung von Sr. Ephigena Garachi

Sr. Dr.Ephigenia Wambui Garachi ist Loreto-Schwester (IBVM). Sie ist ausgebildete Lehrerin, inzwischen arbeitet sie in Kenia als Direktorin des vom Orden getragenen Projektes „TFGM“ - Termination of Female Genital Mutilation / Projekt zur Beendingung weiblicher Genitalverstümmelung. Das Projekt setzt sich gegen die weibliche Genitalverstümmelung ein, die auch als weibliche „Beschneidung“ bekannt ist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projektes bilden Multiplikatoren aus, die in Schulen und in den Dörfern über weibliche Genitalverstümmelung aufklären. Dazu hat Sr. Ephigenia auch einen alternativen Ritus entwickelt, der die Tradition der Initiation aufgreift, aber auf die Genitalverstümmelung verzichtet und statt dessen christliche Elemente einbindet.

Aktuell reist sie auf Einladung der Congregatio Jesu durch Deutschland und klärt über ihre Arbeit auf.

Sr. Dr.Ephigenia Wambui Garachi IBVM erzählt Schülerinnen der Maria-Ward-Realschule Lindau von ihrem Projekt, unterstützt von Sr. Nathalie Korf CJ

Was ist weibliche Genitalverstümmelung und warum nennen Sie es nicht “Beschneidung”?

Wir wollen es als das benennen, was es ist: eine Verstümmelung von Frauen ohne Grund. Beschneidung gibt es bei Männern, da gibt es auch einen medizinischen Grund und es entsteht kein dauerhafter körperlicher Schaden. Bei Frauen gibt es dafür keinen sachlichen Grund und die Frauen sind lebenslang nicht nur körperlich, sondern auch seelisch schwer beeinträchtigt.

Bei der weiblichen Genitalverstümmelung wird in der “milden Version” “nur” die Klitoris weggeschnitten. Am verbreitesten ist die Praxis, bei der die Klitoris und die inneren und äußeren Schamlippen weggeschnitten werden. In der schlimmsten Variante werden Klitoris und Schamlippen abgeschnitten und alles wird bis auf eine winzige Öffnung zugenäht. Meist schon beim Geschlechtsverkehr, spätestens bei der ersten Geburt reist die Naht auf.

In manchen Ländern lassen die Familien Mädchen mit acht Tagen beschneiden, in manchen erst mit 18 Jahren kurz vor der Heirat – das hängt von kulturellen Kontext ab.

Warum wird das gemacht? Was bewegt die Eltern dazu, an ihrer Tochter diesen schwerwiegenden Eingriff vorzunehmen?

Ursprünglich kommt das aus dem alten Ägypten. Damals dachte man, dass die Klitoris der männliche Teil der Frau ist und abgeschnitten werden muss, damit sich Frauen nicht wie Männer – stark, dominant, ungehorsam – benehmen.

Inzwischen gibt es viele Mythen und Traditionen, die diese Praxis stützen: Frauen, die nicht beschnitten wurden, sind untreu, schlafen mit jedem Mann, sind nicht fruchtbar und haben Probleme bei der Geburt. Es gibt zum Beispiel die Überzeugung, dass ein Mann, der in den Krieg zieht, sterben wird, wenn seine Frau nicht beschnitten ist. Kinder unbeschnittener Frauen bekommen abwertende Bezeichnungen und sind Außenseiter. Unbeschnittene Frauen werden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Kein Mann würde sie heiraten. Das ist auch die Hauptangst der Eltern. Deshalb müssen auch junge Männer aufgeklärt werden.

Die Menschen waren früher sehr clever: Sie haben eine Praxis entwickelt, und dann viele Sagen und Ängste darum herum erfunden, die diesen Ritus aufrechterhalten.

Foto eines Teammitglieds (Cecili Cheryot) von Sr. Ephigenia klärt Dorfschüler über weibliche Genitalverstümmelung auf.

Lässt sich das einer bestimmten Religion oder einem Milieu zuordnen?

Nein, das ist Tradition. Diese Praxis der weiblichen Genitaverstümmelung hat vor der Christianisierung begonnen, sie ist schon über 2.500 Jahre alt. Neue Religionen haben diese Tradition nicht gestoppt – die Katholiken wie die Muslime. Die einzigen, die von Anfang an gesagt haben, dass es falsch ist, waren die Protestanten. Heute setzen sich alle Religionen dafür ein, diese Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung zu beenden. Inzwischen ist es auch in vielen, aber nicht allen Ländern weltweit verboten.

Seither werden es weniger Opfer. In Kenia lag der Anteil der beschnittenen Frauen im Jahr 1998 bei 40%, heute sind es weniger, aber immer noch um die 30%.

Weltweit steigt die Zahl – inzwischen schätzt man 200 Millionen betroffene Frauen. Diese hohe Zahl liegt daran, dass inzwischen offener darüber geredet wird und inzwischen bekannt wird, wie viele Frauen tatsächlich betroffen sind. Weil es inzwischen staatlich geahndet wird, steigt aber leider auch die Zahl der heimlichen vorgenommenen Verstümmelungen.

Was tun Sie dagegen?

Meine Arbeit besteht vor allem darin, jungen Menschen, Frauen wie Männern, zu erzählen, was weibliche Genitalverstümmelung genau ist, welche Folgen sie hat und warum es falsch ist.

Weil die weibliche Genitalverstümmelung aber ein Ritual im Rahmen eines großen, mehrwöchigen Ritus ist, in dem Frauen auf das Erwachsen-werden in der Gemeinschaft vobereitet werden, konnten wir sie nicht einfach ersatzlos “streichen”. Das haben wir in Kontakt mit den Frauen und Familien gelernt.

Wichtig war deshalb, einen Ersatz-Ritus, ein neues Initiations-Programm, zu entwickeln. Darin werden traditionelle Elemente des Erwachsen-werdens und der Aufnahme in die Gemeinschaft aufgegriffen. Das Ritual wird um christiche Elemente und Katechese ergänzt. Dazu kommt auch eine umfassende Aufklärung, über die körperlichen und seelischen Prozesse um die Pubertät und die Schwangerschaft etwa. Dieser neue Ritus dauert als Intensiv-Programm eine Woche, begleitend im Alltag ein Jahr.

Diesen Ritus habe ich in einem Buch mitsamt Arbeitsheft für die jungen Mädchen zusammengefasst. Das Handbuch erklärt, wie eine Frau sich körperlich, psychisch und sexuell entwickelt und wie man ihr helfen kann, sich gut zu entwickeln.

Dieses neue Ritual macht allen, den Frauen wie ihren Familien, deutlich, dass die weibliche Genitalverstümmelung nicht das einzige Zeichen einer “guten” Frau ist. Zum Schluss des neuen Ritus werden die Frauen, wie beim alten Ritus, in einer großen öffentlichen Feier als Erwachsene in die Gemeinschaft aufgenommen und von den Gemeinschaftsältesten gesegnet. Das ist wichtig für die Eltern. Die Eltern müssen vorher auch unterschreiben, dass sie ihre Tochter nicht beschneiden werden.

Seit Beginn des Projektes 1998 haben 20.000 Frauen teilgenommen, letztes Jahr waren es 1.000 Mädchen.

Daneben arbeiten wir auch mit den Dorfältesten und weiteren wichtigen Leuten in den Dörfern und Stämmen, wie Polizisten, Lehrern, etc. zusammen. Und wir bilden eigene Multiplikatoren aus. Dazu wollen wir jetzt ein eigens Zentrum bauen in Kenia.

Junge Frauen, die den alternativen christlichen Initiationsritus zur Beschneidung vollziehen: ein Dorfältester spendet in der Kirche den traditionellen Segen.

Gibt es weibliche Genitalverstümmelung nur in Afrika bzw. in arabischen Ländern mit afrkanischer Bevölkerung?

Nein, inzwischen gibt es sie auch weltweit. Mit den Flüchtlingen verbreitet sich das Problem, die Tradition wird mitgenommen.

Bedeutet dass, dass nicht nur beschnittene Frauen hier leben, sondern dass die Frauen hier auch genital verstümmelt werden?

Ärzte, die beschnittene Frauen in Deutschland behandeln, etwa bei Geburten, müssen sich auch mit deren Genitalverstümmelung auseinandersetzen. Manche afrikanische Familien nehmen ihre Töchter heimlich mit nach Afrika, um sie dort zu beschneiden. Das heist dann: “Komm, wir fahren in den Urlaub, und da gibt es ein großes Fest!”

Stephen Muraguri bildet Multiplikatoren aus.

Wie können wir von Deutschland aus helfen?

Indem Sie über das Problem berichten und aufklären. Und Sie können unser Projekt mit einer Spende unterstützen. Informationen zu uns und eine Spendenmöglichkeit gibt es unter www.stopfgm.or.ke

Spenden können Sie unter:

IBAN:  DE32 7509 0300 1202 1020 21
BIC: GENODEF1M05
Kontoinhaberin: Congregatio Jesu MEP
Bank: LIGA Bank eG
Verwendungszweck: Sr. Ephigena Kenia 

Das Interview wurde geführt von Sr. Birgit Stollhoff CJ; die Fotos aus Kenia sind privat / Sr. Ephigenia.