Historische Stationen 1 - Neunzig Jahre nach Ignatius
Für sie ging in diesem Moment ein jahrelanger Suchweg nach dem Ziel ihres Lebens zu Ende. Sie erhielt innerlich die Erkenntnis und Gewissheit, wohin sie mit ihrer kleinen Gemeinschaft von Frauen im belgischen Saint-Omer steuern musste: „Nimm dasselbe von der Gesellschaft“, d.h. die Ordensverfassung der Jesuiten.
Die Inschrift auf dem Bild 24 ihrer gemalten Biographie behielt den Inhalt dieser Erkenntnis aus Rücksicht auf die kirchliche Zensur für sich.
Vermerkt wird aber, dass sie ihr eine solche Gewissheit gab („Licht, Trost und Stärke“), dass sie niemals in ihrem Leben etwas anderes wollen konnte.
Unerhört neu
Heute können wir das Außergewöhnliche dieser Idee nicht mehr so leicht erkennen. Aber vor vierhundertzehn Jahren war beinahe die gesamte katholische Welt davon überzeugt, dass es für Frauen genau zwei Lebensentwürfe gäbe: zu heiraten und für Ehemann und Familie zu sorgen oder im streng von der Außenwelt abgeschotteten (klausurierten) Bereich eines Nonnenklosters zu leben und zu beten.
Zu ihrer Zeit, im 16. und 17. Jahrhundert, war bei Frauen die neuartige Spiritualität des Ignatius sehr beliebt. Der Einladung, sich die Begebenheiten der Evangelien lebhaft vor Augen zu führen, das eigene Leben mit ins Gebet hineinzunehmen und vertraute Zwiesprache mit Gott zu halten, kam bei ihnen an.
Die Idee allerdings, eine Frauengemeinschaft parallel zu den Jesuiten zu gründen, verfolgte außer Mary Ward, soweit wir wissen, nur eine einzige Frau: Anne de Xainctonge im burgundischen Dole. 1606 billigte man ihr zu, eine „Compagnie der hl. Ursula“ zu gründen, in der die Regel der Ursulinen mit Elementen der Jesuiten-Konstitutionen kombiniert wurde. Die Gemeinschaft war jedoch auf die jeweilige Diözese begrenzt.
Ignatius selbst, der sich in seiner Seelsorge-Arbeit gern von Frauen unterstützen ließ, hatte es abgelehnt, einen weiblichen Zweig seines Ordens zu gründen. Auch sollten die Jesuiten nicht durch die Sorge für Frauengemeinschaften in ihrer Flexibilität eingeschränkt werden. Mary Ward wusste das und sie wollte es auch nicht anders. Ihr Orden sollte von den Jesuiten unabhängig und auch nicht den Ortsbischöfen unterstellt sein, sondern – eben genau wie der Jesuitenorden – nur dem Papst unterstehen.
Unumstößlich war für sie auch die Benennung ihrer Gemeinschaft: „Was den Namen betrifft, so habe ich zweimal in verschiedenen Jahren in so besonderer Weise wie diese anderen Dinge, die ich erzählt habe, erfahren, dass die Benennung davon Jesus sein muss.“ – Ein Auftrag, der am 30. Januar 2004 in Erfüllung ging, als die Gemeinschaft den Namen „Congregatio Jesu“ annehmen konnte.