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Mary Wards Frauenrede

„Frauenrede“ ist kein offizieller Titel, sondern eher ein Stichwort. Gemeint ist damit die erste von drei Ansprachen, die Mary Ward bei ihren Mitschwestern in der Gemeinschaft in Saint-Omer hielt. In dieser ersten Ansprache geht es schwerpunktmäßig um das Thema Frauen und was man ihnen zutraut oder nicht, was sie können oder nicht.

„Nur“ Frauen? Der Text der ersten Frauenrede Mary Wards

Übersetzung aus dem Englischen: Sr. Ursula Dirmeier CJ

Portrait von Mary Ward

"Ich habe mit keiner von euch im Einzelnen gesprochen, aber das, was ich allgemein sagen werde, kann jeder Einzelnen dienen, dass ihr die Wahrheit liebt. Wer kann eine Lüge lieben – und alle Dinge sind Lügen, die nicht so sind, wie sie in Wirklichkeit sind, oder wer kann ein Geschöpf oder einen Freund lieben, der nicht so ist, wie er zu sein scheint?

Als Mr. Sackville uns und unsere Lebensweise lobte und erzählte, wie sehr sie von Männern mit Urteilskraft und unter den Kardinälen in Rom geschätzt wird, antwortete der gerade anwesende Pater Minister [Michael Freeman SJ]: „Das ist wahr, so lang sie Feuer in sich haben. Aber das Feuer wird vergehen, und schließlich sind sie nur Frauen.“

„Mutter, hat er oft bei euch Beichte gehört?“ Antwort: „Etwa drei Wochen, so lange P. More krank war.“

Ich sage euch, er mag folglich einige Kenntnis von euch haben. Ohne jedoch Beichten zu offenbaren, würde ich gern wissen, was er eurer Meinung nach mit diesem seinem Ausdruck „nur Frauen“ meinte und was Feuer ist.

Feuer ist die Entschiedenheit, gut zu handeln. Das ist eine zuvorkommende Gnade Gottes und ein von Gott umsonst gegebenes Geschenk, das wir uns nicht verdienen können. Es ist wahr, dieses Feuer erkaltet oft. Aber was ist die Ursache? Liegt es daran, dass wir Frauen sind? Nein, sondern daran, dass wir unvollkommene Frauen sind.

Es gibt keinen solchen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Deshalb ist die Ursache nicht, dass wir Frauen sind, sondern, wie ich vorhin sagte, dass wir unvollkommene Frauen sind und nicht die Wahrheit lieben, sondern auf Lügen aus sind. Veritas Domini manet in aeternum; die Wahrheit unseres Herrn währt immerdar. Es ist nicht die veritas hominum, die Wahrheit der Männer oder die Wahrheit der Frauen, sondern veritas Domini. Diese Wahrheit können Frauen ebenso haben wie Männer. Wenn wir versagen, kommt das von einem Mangel an Wahrheit und nicht davon, dass wir Frauen sind.

Viele adelige Damen und andere Personen in England haben, so lange Patres der Gesellschaft [Jesu] bei ihnen waren, in ihren Anfängen tugendhaft mit großem Feuer und Einsatz gelebt, später aber sind sie nicht nur lau und kalt geworden, sondern dem Atheismus und anderen abscheulichen Irrtümern verfallen, über die zu sprechen nicht passend ist. Der Grund dafür war nicht, dass sie Frauen sind, sondern dass sie ihr Herz mehr an das Ansehen bei denen gehängt haben, die sie gerade leiteten, als an die Wahrheit, die allein Gott ist. Und als sie jene verloren, die sie zuerst leiteten, und andere hatten, verloren sie ihr Feuer und alles, und zwar ohne eine Schuld ihrer ersten Führer, denn was sie taten, war richtig. Auch die, die nachher kamen, beschuldige ich nicht, denn ich will überhaupt niemanden tadeln, obwohl bei den letzteren ein Mangel vorliegen könnte. Aber die Ursache lag darin, dass sie nicht die Wahrheit gesucht haben.

Verschiedene Ordensleute, und zwar sowohl Männer als auch Frauen, haben ihr Feuer verloren, weil sie auf diese zuvorkommende Gnade nicht achteten, die ein Geschenk Gottes und ein Zeichen der Prädestination ist, wie ihr oft gehört habt (ich bin mir sicher, dass ich das von Personen habe, die weiser sind als ich). Aber da sie undankbar für diese Wohltat waren und sich an dem Trost festmachten, den sie im Gebet fanden, und an der Befriedigung, die sie im Gottesdienst verspürten – denn gebt ganz am Anfang die Welt für Gott allein auf, der die Wahrheit ist. Aber wie gesagt, zu sehr am Trost und an Gefühlen hängend, glauben sie, wenn diese ausbleiben und sie in Trockenheit geraten und Gott sie zu verlassen scheint, sie hätten ihr Feuer verloren. Das ist ebenfalls eine Lüge, denn man kann auch in geistlicher Trockenheit Feuer haben. Denn das Feuer hat seinen Ort nicht in den Gefühlen, sondern in der Entschiedenheit, gut zu handeln, die Frauen ebenso gut haben können wie Männer.

Es gibt keinen solchen Unterschied zwischen Männern und Frauen, dass Frauen nichts Großes vollbringen können, wie wir am Beispiel vieler Heiliger gesehen haben, die Großes getan haben. Ich hoffe zu Gott, man wird sehen, dass Frauen in der kommenden Zeit viel tun werden.

Eine andere Ursache für den Verlust des Feuers mag sein, dass viele Ordensleute, nachdem sie Gelübde abgelegt haben, meinen, sie seien sicher. Bei euch ist das nicht so. Denn ihr könnt, nachdem ihr die Gelübde abgelegt habt, fortgeschickt werden, wenn ihr nicht so seid, wie ihr solltet. Wenn manche Vorgesetzte sie auch verhätscheln und sie mit allen Mitteln zu halten suchen, wird die Vorsehung Gottes immer bewirken, dass sie sich in Gefahr bringen, sich selber auszuschließen.

Ich beschwöre euch alle um der Liebe Gottes willen, die Wahrheit zu lieben und wahre Abhängigkeit, und nicht das Herz an jene Vorgesetzte, diesen Pater oder dieses Geschöpf zu hängen, so dass alles verloren ist, wenn sie verloren sind. Allerdings ist Zuneigung gut, auch Abhängigkeit, aber nicht aus Zuneigung, so dass alles verloren ist, wenn sie verloren sind. Wenn ich in einem Kloster wäre, in dem niemand die Regel hält, sollte ich sie nicht halten? Achtet sehr darauf, dass ihr wahre Abhängigkeit liebt, andernfalls lauft ihr Gefahr, weit vom Weg abzukommen, wenn ihr euren eigenen Spinnereien folgt. Ihr müsst immer abhängig sein, aber lasst es wahre Abhängigkeit sein, wie ihr hernach besser verstehen werdet.

Darin besteht die Wahrheit, dass wir das, was wir zu tun haben, gut tun. Viele halten es für gering, gewöhnliche Dinge zu tun. Aber für uns gilt: gewöhnliche Dinge gut tun, unsere Konstitutionen halten und alle anderen Dinge, die in jedem Amt oder jeder Tätigkeit, was auch immer es sei, die gewöhnlichen sind. Sie gut zu tun, das ist unsere Aufgabe, und das wird uns mit Gottes Hilfe das Feuer erhalten.

Bisher wurde uns von Männern gesagt, wir müssten glauben. Es ist wahr, wir müssen es. Aber lasst uns weise sein und wissen, was wir zu glauben haben und was nicht, und uns nicht dazu bringen zu glauben, dass wir nichts tun können. Wenn Frauen im Vergleich mit Männern in allen Dingen so minderwertig wären, warum sind sie nicht von allem ausgenommen, sondern nur von manchem. Ich gebe zu, Ehefrauen müssen sich ihren Ehemännern unterordnen, Männer sind Haupt der Kirche, Frauen dürfen weder die Sakramente spenden noch in öffentlichen Kirchen predigen, aber in allen anderen Dingen: worin sind wir anderen Geschöpfen gegenüber so minderwertig, dass sie uns „nur Frauen“ heißen dürfen?

Denn wie denkt ihr, dass dieser Ausspruch „nur Frauen“ gemeint ist? Doch so, als ob wir in allen Dingen minderwertig wären im Vergleich zu einem gewissen anderen Geschöpf, vermutlich dem Mann. Ich bin so kühn, das als Lüge zu bezeichnen; aus Respekt vor dem guten Pater will ich es einen Irrtum nennen.

Ich wollte bei Gott, dass alle Männer diese Wahrheit verständen, dass Frauen, wenn sie wollen, vollkommen sein können. Und wenn man uns nicht glauben machte, dass wir nichts tun können und dass wir nur Frauen sind, könnten wir Großes vollbringen. Ich hoffe, ihr werdet erkennen, dass das, was ich sage, Wahrheit ist, und es hernach besser verstehen. Es kann sein, dass hier viele dies Letzte nicht verstehen; aber hernach werdet ihr es besser erkennen.

Neulich hörte ich einen Priester, der nach England kam, sagen, er wolle nicht um zehntausend Welten eine Frau sein, weil er dachte, eine Frau könne Gott nicht erkennen. Ich antwortete nichts, sondern lächelte nur, obwohl ich ihm mit der Erfahrung hätte antworten können, die ich vom Gegenteil habe. Ich hätte seinen Mangel an Urteil bedauern können, ich meine nicht Mangel an Urteil, noch will ich sein Urteil tadeln, denn er ist ein Mann von sehr gutem Urteil. Was ihm fehlt, ist die Erfahrung.

Es war ein weises Wort der Königin von Spanien, als sie die Karmelitinnen in einem Teil Spaniens eingeführt hatte. Weil sie sie sehr empfahl, kamen manche aus Neugier, um sie zu sehen. Und nachdem sie sie besucht hatten, sagten sie, sie seien nicht so, wie sie es erwartet hätten. Darauf antwortete sie: Wenn ihr sie als Heilige anschaut, werdet ihr Frauen vorfinden. Aber wenn ihr sie als Frauen anschaut, werdet ihr in ihnen Heilige finden. Ebenso können wir von Männern sagen: Wenn wir sie als Propheten anschauen, werden wir ihre Unvollkommenheiten sehen, aber wenn wir sie als Männer anschauen, werden wir sie ganz anders sehen.

Damit ihr nicht irregeleitet werdet, sollt ihr sie an den Früchten ihrer Ratschläge erkennen. Die, von denen ihr geleitet wurdet, waren in der Regel für alle die besten Führer; denn was kann es nützen, wenn man euch sagt, dass ihr nur Frauen seid, schwach und unfähig, etwas zu tun, und dass das Feuer vergehen wird. Ich sage, was es euch nützt: Es macht euch nur niedergeschlagen und raubt euch die Hoffnung auf Vollkommenheit. Nicht alle sind dieser Meinung; ich bin sicher, er, der an diesem Tag für euch in den Himmel ging, wo er mehr für euch tun kann, denn als er noch hier war [P. Roger Lee SJ], hatte eine andere Einstellung, wie viele von euch bezeugen können. Er hatte niemals mit jemandem zu tun, den er nicht auf dem Weg der Vollkommenheit zu Gott geführt hätte.

Das ist alles, was ich dieses Mal zu sagen habe, dass ihr Wahrhaftigkeit und Wahrheit liebt."

Frauen können Großes vollbringen

Fragen an Sr. Ursula Dirmeier CJ zur so genannten Frauenrede Mary Wards

Darstellung von Mary Ward und ihren ersten Gefährtinnen.

Sr. Ursula, bitte verraten Sie uns, was die so genannte Frauenrede ist.

Sr. Ursula Dirmeier CJ: „Frauenrede“ ist kein offizieller Titel, sondern eher ein Stichwort. Gemeint ist damit die erste von drei Ansprachen, die Mary Ward bei ihren Mitschwestern in der Gemeinschaft in Saint-Omer hielt. In dieser ersten Ansprache geht es schwerpunktmäßig um das Thema Frauen und was man ihnen zutraut oder nicht, was sie können oder nicht.
Insgesamt hat Mary Ward drei Ansprachen gehalten, die von einer Mitschwester mitgeschrieben wurden. In den anderen beiden kommt das Thema Frauen auch vor, aber nicht so zentral.

Wann und zu welchem Anlass hat Mary Ward sie gehalten?

Sr. Ursula Dirmeier CJ: Wir können mit einiger Sicherheit annehmen, dass die Ansprachen gegen Ende des Jahres 1617 gehalten wurden. Mary Ward war nach längerer Abwesenheit zurückgekehrt und griff nun eine Fragestellung auf, die in der Gemeinschaft ziemlich Wirbel verursacht hatte. Ein Jesuitenpater hatte ziemlich abschätzig über ihre Gemeinschaft geäußert, dass der erste Schwung wohl bald vergehen werde – und schließlich seien es ja nur Frauen…

Könnten Sie bitte einige der zentralen Punkte daraus hervorheben?

Sr. Ursula Dirmeier CJ: Mary bezieht klar dagegen Stellung: Frauen müssen nicht, weil sie Frauen sind, scheitern, wenn sie sich selbstständig etwas vornehmen. Frauen können Großes vollbringen. Sie sind nicht von Natur aus schwach, ängstlich, abhängig. Wichtig ist, dass sie die Wahrheit lieben, die sie im Licht Gottes erkennen können, dass sie sich ihr eigenes Urteil bilden und diesem Urteil auch trauen.

Wieso ist die Frauenrede auch heute ein wichtiger Text für die Schwestern der Congregatio Jesu und für alle, die Mary Ward verehren?

Sr. Ursula Dirmeier CJ: Das Thema, dass man Frauen Fähigkeiten abspricht und Möglichkeiten verweigert, die Männer haben, ist noch lange nicht überholt, weder in der Kirche noch in der Gesellschaft. Mary Ward kann Frauen Mut machen und Männer zum Nachdenken bringen…