1. Impuls zur Fastenzeit

Gloria Dei – vivens homo

Der Ruhm Gottes ist der lebendige Mensch - von Sr. Renata Lauber CJ

“Der Mensch ist geschaffen dazu hin,
Gott unseren Herrn zu loben,
ihm Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen,
und damit seine Seele zu retten.“

Einleitung zu den “Geistlichen Übungen”
“Prinzip und Fundament”

1. Abschnitt

Wie eine Ouvertüre die Themen des gesamten Werkes anklingen lässt, so werden in der Einleitung zum Exerzitienbuch schon die wichtigsten Gedanken vorangestellt. Es geht um den Sinn unseres Menschseins und um Grundhaltungen unseres Lebens.
Darin stecken die heute oft gestellten Fragen:
Wer bin ich? Wozu bin ich da? Was ist der Sinn meines Lebens? Wann ist das Leben sinnvoll - sinnerfüllt?

Die Formulierung der Einleitung ist so dicht, dass man sie etwas aufbrechen muss, um die darin enthaltene Weisheit zu verstehen, um sie in „Alltags-Leben“ umsetzen zu können.
Als ich das philosophische Menschenbild der Frankl’schen Logotherapie näher kennenlernte, erschloss sich mir auch ein neues Verständnis für den Text des heiligen Ignatius.

Das eigentlich Menschliche

Frankl suchte nach dem Wesen des eigentlich „Menschlichen“, er fragte danach, was den Menschen vom hochentwickelten Tier unterscheidet. Er fand für sich Antwort im christlichen Menschenbild des Philosophen Max Scheler (1874 – 1928). Diese Sicht des Menschen ist die Grundlage der von ihm entwickelten 3. Wiener Schule der Psychotherapie, bekannt  als    „Logotherapie und Existenzanalyse“.

Das Menschenbild Schelers / der Logotherapie erweiterte die damals gerade in der Psychotherapie verbreitete Sicht des Menschen als nur biologisches Wesen, das durch die Gene und durch den Einfluss der Umwelt körperlich und psychisch mehr oder minder determiniert ist. Scheler sieht den Menschen als geistbegabtes Wesen, das fähig ist, Dinge und Zusammenhänge zu erkennen, zu bewerten, Stellung dazu zu nehmen und dann selbstbestimmt zu handeln, d.h., dass der Mensch fähig ist zur Selbstgestaltung. „Mensch sein heißt ja niemals, nun einmal so und nicht anders sein müssen, Mensch sein heißt, immer auch anders werden können.“ (Frankl)

Die Gene (Erbgut) prägen den Körper (somatischer Bereich)
und die Psyche (Gefühlsleben)    = Psychophysikum      

der Geist  ist die personale Instanz, das eigentlich Menschliche, das „Ich“, das Selbst.  In der Sprache der Bibel ist damit die unsterbliche Seele gemeint; oft steht dafür das Wort „Herz“.
Der Geist ist wesensverschieden von Körper und Psyche, aber wesentlich für das Menschsein. Frankl unterscheidet „Geist“ und „Intellekt“. Unsere intellektuellen Fähigkeiten hängen von der Funktion des Gehirns, von unserer ererbten Begabung und den Lernmöglichkeiten ab. Das Gehirn kann erkranken und seine Funktionen verlieren, der Geist kann nicht erkranken, er zerfällt nicht mit dem Tod.   

Frankl meidet das Wort „Seele“, weil es im allgemeinen Sprachgebrauch doppelt besetzt und dadurch missverständlich ist. „Seele“ kann sowohl „Psyche“ (zum Beispiel „seelische“ Störung in der Bedeutung „psychische“ Störung), als auch das „Unsterbliche“ im Menschen bedeuten. Frankl unterscheidet immer klar zwischen Psyche (Gefühlsleben, das durch Veranlagung, Hormone, körperliche Verfassung, Lebensschicksal und Umwelt beeinflusst ist) und Geist (der immateriell, nicht vererbbar, entscheidungsfähig und unsterblich ist).

Frankl sagt: „Bei der Zeugung geben die Eltern die Gene weiter, Gott aber gibt den Geist. So werden die Eltern Zeugen eines Wunders.“
Ähnliche Aussagen:
Henri Boulard, SJ: „Jede/r von uns ist eine verwirklichte Gottesidee, ein Gotteswunsch, der Form annimmt. Jede/r von uns ist inkarnierte Gottesliebe.“
Papst Bendedikt XVI.: „Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht.“
Psalm 139: „Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gemacht hast, staunenswert sind deine Werke.“
Dieses Staunen über das Menschsein fasst Irenäus von Lyon schon im 3. Jahrhundert nach Christus in die kühne Aussage: „Gloria Dei – vivens homo“ (Die Herrlichkeit Gottes – seine Verherrlichung - ist der lebendige Mensch. Eine englische Übersetzung drückt es so aus: The glory of God is man fully alive!

Der Mensch - ein Lobpreis Gottes, das steht auch am Anfang des Exerzititenbuches. Wir können Gott durch unser Sein ehren, wenn wir Menschen werden, wie er uns gedacht, wie er uns „geträumt“ hat.
„Was du bist, ist Gottes Geschenk an dich. Was du daraus machst, ist dein Geschenk an Gott.“ (Dr. Elisabeth Lukas)

Ein weiterer Gedanke bewegt mich: Frankl hat den Begriff des „Unbewussten“, der bisher nur für die Psyche gebraucht wurde, auch auf die geistige Dimension übertragen. Liebe, Freiheit, Intuition, künstlerische Fähigkeiten, Religiosität, Gewissen … kommen aus der Tiefe des geistig Unbewussten. Ein philosophisches Buch Frankls trägt den Titel: „Der Unbewusste Gott“. Die Auseinandersetzung mit diesen Gedanken eröffnete mir auch spirituell eine neue Sicht auf das Geheimnis, dass Gott in der Tiefe unseres Seins da ist – diskret, unaufdringlich, liebevoll. Ich verstand das Bild aus dem „Gemalten Leben Maria Wards“ neu, als sie Jesus nach seinem Wesen, seinem Geheimnis, fragt und ihn dann in ihr Herz eingehen sieht.

Gott in mir - in jedem Menschen

Gott in mir – in jedem Menschen – dadurch kann die Menschwerdung Gottes immer neu geschehen, kann Gott durch uns in diese Welt kommen.
Es geht um „Sein“ und „Werden“ – Wachsen – nicht um  Selbstverwirklichung oder Leistung und Perfektion, sondern darum, so zu werden, wie Gott uns gedacht hat.
Christus soll in uns Gestalt annehmen (nach Gal 4,19).

Am Schluss dieses Absatzes steht der heute schwer zu verstehende Satz „…und damit seine Seele zu retten.“ Könnte es sein, dass Ignatius heute sagen würde:
Rette den geistigen – göttlichen – Funken in dir! Gib ihm Raum und Nahrung! Lass ihn nicht zu Asche werden, sondern zum Feuer, das leuchtet und wärmt – auch für die Menschen um uns. „Mensch, werde Mensch!“, berufen zur Freundschaft mit Gott.

„Komm, o du glückselig Licht, fülle Herz und Angesicht,
dring bis auf der Seele Grund.“ (aus der Pfingstsequenz)

„Alles beginnt mit der Sehnsucht,
immer ist im Herzen Raum für mehr,

für Schöneres, für Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille,
nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf.
Fing nicht auch deine
Menschwerdung, Gott,
mit dieser Sehnsucht nach dem
Menschen an?
So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen,
dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
dich gefunden zu haben.“

Nelly Sachs

Hier gibt es den Impuls vom 27.2.2017 zum Download (Gedanken voraus).