Zwischen Hochgebirge und Halbwüste

„Allein und zu Fuß“ auf dem Camino Ignaciano


Über 400 Kilometer, fünf baskische Bergpässe, rund 250 Kilometer mehr oder weniger entlang des Ebros, der Eintritt in die Halbwüste der Monegros. Kälte und Wind, Hitze und glühende Sonne. Bergdörfer und Großstädte, Begegnungen und Einsamkeit. Geführt von orangefarbenen Pfeilen, begleitet von Störchen, von oben betrachtet von Geiern. All das war Teil meiner Erfahrungen auf dem Camino Ignaciano in diesem Sommer.

 

Im Rahmen meines Terziats durfte ich 2015 an einem sechswöchigen Kurs in Manresa teilnehmen und habe dort erstmals von diesem noch recht unbekannten Pilgerweg gehört, der den Spuren des Ignatius auf seinem Weg von Loyola nach Manresa folgt. Seither war dieser Weg mein Traum – und vom 9. bis 30. August 2018 durfte ich beginnen, diesen zu verwirklichen. Insgesamt 18 Gehtage reichten nicht, um letztlich zu Fuß in Manresa anzukommen, aber für etwas mehr als die Hälfte des äußeren Weges und einen intensiven inneren Weg, vielleicht auch mit mancher Annäherung an Ignatius.


Zu Fuß gehend verändern sich Raum und Zeit: Ein Tag ist lang, äußerlich ist wenig los, im Wesentlichen besteht er im Gehen – und doch war ich am Abend oft erstaunt, wie gefüllt der Tag war. Jede Begegnung, jede äußere und innere Regung wird spürbar und bekommt Gewicht. Wenn am Morgen schon das Etappenziel sichtbar ist, oder am Mittag noch der Weg des Vortages, werden 20 bis 30 Kilometer klein und groß zugleich.


Der Wechsel der Landschaften wird sichtbar und erlebbar

Beim Start liegt nur eine Bergkette zwischen Loyola und dem Atlantik, das Meer ist am Horizont fast noch zu erahnen. In den ersten sechs Tagen gilt es, fast jeden Tag eine Bergkette zu überwinden und sich damit vom Meer zu entfernen. Berge, die im Vergleich mit den deutsch-österreichischen Alpen erst einmal niedrig wirken (die höchsten Gipfel sind etwas höher als 1.500 Meter über dem Meer) – aber landschaftlich eher den jeweils circa 1.000 Meter höher gelegenen Landschaften der Alpen ähneln: Die Baumgrenze liegt bei etwa 1.000 Metern, darüber kommen erst Gestrüpp, dann Gräser und Felsen. Eine Hochgebirgslandschaft. Im Gehen durchaus anstrengend, aber abwechslungsreich und schön, manchmal auch abenteuerlich. Auf den Hochebenen weiden Rinder und Schafe, aber auch Pferde, Esel und Schweine. Hier hat im Nebel ein baskischer „guter Hirte“, der auf dem Weg war, seine Schafe zu suchen, auch mir den Weg gewiesen.

Vom letzten Bergpass aus erfolgt der Abstieg in die Region La Rioja. Die erste Begegnung mit dem Ebro, dessen weitem Tal der Weg dann folgt. Eine Weingegend. Unter südländischer Sonne sind die Hänge voller berühmter Weinstöcke. Dazwischen Salzseen – Relikte der Erdgeschichte. Eine Region, die spürbar auch vom Tourismus geprägt ist, Pilger passen da nicht so recht ins Bild. Und doch liegt in dieser Region auch ein für Ignatius bedeutsamer Ort: Navarrete. Eine Figur des Ignatius in der Kirche erinnert daran.

Der Wein wird abgelöst vom Obst – ein Duft reifer Pfirsiche hängt in der Luft, der Weg führt durch das „Birnendorf“ Spaniens. Fast unmerklich wird es langsam trockener und heißer. Olivenbäume und Mandelbäume stehen auf Äckern, die manchmal fast nur aus Steinen bestehen. Und immer mehr dürres Gestrüpp, Disteln, trockenes Land. Und: wilder Rosmarin. Der für die Erfahrung sorgt: Die Wüste (die hier noch keine ist) duftet!

Dann wird es langsam wieder grüner, in der Nähe des Ebro ist das Land fruchtbar. Und es weht ein heftiger Wind, der bis in die Großstadt Zaragoza reicht. Die Einheimischen meinten lachend, das sei noch gemäßigt…

Hinter Zaragoza erfolgt dann auch der Abschied vom Ebro – und der Aufstieg in die Monegros, die „schwarzen Berge“ im Herzen Aragóns. Eine Hügel- und Hochebenenlandschaft mit extremer Trockenheit. Die kleinen Wacholderbüsche, die hier noch wachsen, lassen die Landschaft aus der Ferne dunkel erscheinen. Kein Wasser, kein Schatten, eine Endlosigkeit, die die Orientierung und das Gefühl für Entfernungen verlieren lässt. Und die Gewissheit, dass einem hier so schnell kein Mensch begegnen wird. Die einzigen Begegnungen sind Eidechsen und Kaninchen.

Die menschlichen Begegnungen liegen auf dem Weg davor

In den kleinen baskischen Bergdörfern, in denen jeder Fremde sofort auffällt. In vielen Dörfern bin ich sehr herzlich und offen aufgenommen worden. Manche Pause hat am Ende zwei, drei Stunden gedauert – von einem Gespräch ins nächste, eingeladen werden,

Zwischen Navarrete und Logroño, jenen 13 km, auf denen der Camino Ignaciano mit dem Hauptweg des Jakobsweges in Spanien identisch ist, kommen einem unentwegt Jakobspilger entgegen. Manchmal hat mir ein freundlicher Mensch zugerufen: Achtung, falsche Richtung! Auch ab Logroño ist der Camino Ignaciano mit dem Jakobsweg identisch, allerdings mit dem kaum begangenen Jakobsweg am Ebro bzw. Katalanischen Jakobsweg. Zwei spanische und ein französischer Pilger sind mir in diesen zehn Tagen noch begegnet. In diesem Sinne ist der Camino Ignaciano ein einsamer Weg – der auf diese Weise die Chance bietet, mit dem Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen. Und reichlich Gelegenheit, mein Spanisch zu üben und so wichtige Worte zu erlernen wie „la ampolla“ („die Blase“ – regelmäßige Erklärung für abendliches Hinken) oder „la cigüeña“ („der Weißstorch“ – besonders wichtig, wenn man in Alfaro, der Stadt der Störche, übernachtet). Die „Weltsprache Englisch“ endet spätestens in nicht-touristischen Gebieten Spaniens.


Wo nicht der Haupt-Pilgerstrom läuft, habe ich große Aufgeschlossenheit erlebt und viele schöne und manchmal auch berührende Begegnungen. Manchmal auch unfreundliche – „schüttelt den Staub von euren Schuhen und geht weiter“, rät Jesus. Ich habe bemerkenswerte und merkwürdige Traditionen und Feste erlebt – rund um Mariä Himmelfahrt und den Gedenktag des in Spanien offensichtlich sehr wichtigen Rochus von Montpellier (16. August) sind in fast allen spanischen Dörfern Festtage. In manchen Regionen gehören dazu auch heute noch Stierkämpfe. Ich bin froh, dass ich immer kurz davor oder kurz danach in ein Dorf gekommen bin, nie live dabei sein musste.

 

Und Ignatius?

Auf seinem Maultier dürfte er kaum schneller als ich vorangekommen sein. Wie er diesen Weg erlebt, dazu schreibt er in seinem Pilgerbericht nicht viel. Er berichtet von der Nachtwache in Arantzazu – auch heute noch ein großer Wallfahrtsort im Baskenland, der mit seinen modernen Betonbauten mitten in den Bergen für mich leider so gar keine Atmosphäre ausgestrahlt hat. Und er berichtet von der Begegnung mit dem Mauren. Die Wegkreuzung, an der er seinem Maultier die Wahl des Weges überlassen hat, ist im Führer lokalisiert – heute eine unspektakuläre Straßenkreuzung am einem Ortsausgang. Über das, was ihn auf dem Weg beschäftigt hat, schweigt er. Und so bleibt die Frage, was ihm im Losgehen von Loyola wohl durch Kopf und Herz gegangen sein mag. Freilich, er hatte ein großes Ziel, eine große Sehnsucht – aber an jenem Punkt, an dem Loyola das letzte Mal sichtbar ist, bevor man den Pass überschreitet und ins nächste Tal gelangt – hat er da zurückgeschaut?

War sein „Abschied für immer“ und sein Weg in eine Welt, die er noch nicht einmal aus dem Fernsehen oder Internet kannte, wirklich nur beflügelt? Und wenn er voller Ideale, Träume und Hoffnungen aufgebrochen ist – was ist mit diesen auf dem Weg geschehen

Zwischen Logroño und Zaragoza verläuft heute eine Eisenbahnstrecke, an vielen Stellen schnurgerade durch trockenes Land. Über unzählige Kilometer verläuft der Camino Ignaciano auf dem Schotterweg neben der Bahnlinie. Der „Camino de hierro“, der „eiserne Weg“, wie ihn der Pilgerführer nennt. Es gibt wenig Bäume, kaum Orientierungspunkte, die Sonne brennt ab Mittag unbarmherzig. Für mich der härteste Teil des Weges, der Denken und Fühlen leert. Die dritte Woche der Exerzitien war mir hier sehr präsent. Auch, wenn es zur Zeit des Ignatius die Bahnlinie noch nicht gab – abwechslungsreicher und sanfter wird der Weg kaum gewesen sein.

Und schließlich die Monegros: Auch Wegbeschreibung und die moderne Technik des Smartphones haben mich nicht davor bewahrt, hier die Orientierung und den Weg zu verlieren. Wie hat Ignatius hier die Richtung gehalten? Die Sonne ausgehalten? Wo hat er Wasser gefunden? Und gab es auch die Stunden, in denen er sich fragte, was er hier tat?

In manchen Momenten der „dritten Woche“ habe ich mich das gefragt. Ob ich den Weg auch gewagt hätte, wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet, bin ich mir nicht sicher. Aber genau wie die Großen Exerzitien endete auch mein Weg nicht in der dritten Woche. Schritt für Schritt und Kilometer für Kilometer bin ich hineingelaufen in die Erfahrung einer tiefen inneren Stille und großen Freiheit, in der an die Stelle von „Brauchen“ die Dankbarkeit tritt und am Ende nur der Weg auf Gott hin zählt. Die sieben Kilogramm Gepäck in meinem Rucksack, zwei Liter Wasser, ein paar Kekse, Nüsse und Obst waren dafür genug.

Im Auspacken zurück in Nürnberg habe ich mich wieder einmal gefragt, wofür ich all die vielen Dinge in meinen Schränken brauche. Mit ausgepackt habe ich einen zweiten Pilgerpass, der noch leer ist. Er steht für meine Hoffnung, den Weg eines Tages fortsetzen zu dürfen und schließlich auch zu Fuß in Manresa anzukommen…

 

Text und Fotos: Sr. Magdalena Winghofer CJ

Informationen und Wegbeschreibungen zum Camino Ignaciano: www.caminoignaciano.org