Betrachtung zur Berufung der Apostel

Eine Exerzitienbetrachtung Mary Wards

In den Schulungsbriefen (S. 160 ff.) schreibt Sr. M. Immolata Wetter CJ zu dieser Betrachtung:

Im Institutsarchiv Ascot ist ein Sammelband vorhanden mit dem Titel "Exerzitien, die Maria Ward gegeben wurden". Einzelne Blätter mit Betrachtungsvorlagen sind willkürlich zusammengebunden; die Themenbereiche der einzelnen Jahresexerzitien können daraus nicht rekonstruiert werden. Der Handschriftenvergleich ergab, dass die Blätter von mehr als achtzig Personen stammen. Da wohl im Fall Maria Wards und ihrer frühen Gefährtinnen die stillen Tage mehr in Form von Einzelexerzitien gegeben wurden, erhielten die Frauen vom Exerzitienmeister die jeweiligen Vorlagen in schriftlicher Form, die ohne Zweifel häufig weitergegeben und abgeschrieben wurden. So erklärt sich die Vielzahl der Hände, die diese Blätter beschrieben haben. Dass es Originale sind, lässt sich außer an den verschiedenen Schriften auch den den Faltungen der Papiere feststellen.

Für die Betrachtung über die Berufung der Apostel liegt im Ascoter Codex ein Text vor, den Maria Ward für die Gebetsstunde benützt haben kann. Der Eintrag, der hier wiedergegeben wird, soll die Art der Anweisung wie auch das Verhältnis zwischen Vorlage und Aufzeichnung beleuchten.

Von der Berufung der Apostel

Das gewöhnliche Gebet zur Vorbereitung.
Stelle dir die Szene vor, wie unser Herr Jesus Christus Nazaret (sic) verließ, um nach Kapharnaum in Galiläa zu gehen, wo er seine Apostel berief. Die Bitte, es möge Gott gefallen, uns die Gnade zu geben, dass wir die Wohltat unserer Berufung erkennen und in derselben zu seiner größeren Ehre fortschreiten.
1. Als Jesus am Ufer des Galiläischen Sees entlang ging, sah er die beiden Brüder beisammen, nämlich Simon und Andreas, die Fischer waren und ihre Netze in den See warfen. Jesus rief sie an und sagte: Kommt hierher zu mir, und ich will euch zu Menschenfischern machen. Sofort verließen sie ihre Netze und folgten Jesus nach.
2. Als Jesus weiterging, sah er zwei andere Brüder, nämlich Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, die bei ihrem Vater waren und ihre Netze reinigten und ausbesserten. Jesus rief sie, wie er es bei den ersten getan hatte. Auf sein Wort hin verließen sie sofort ihre Netze, ja ihren eigenen Vater und folgten Jesus nach. Und so berief er in der Folge seine anderen Apostel und Jünger.
3. Auf diese Weise zog Jesus durch Galiläa: er lehrte in der Synagoge und predigte das Evangelium vom Gottesreich.

Was hat nun Maria in ihrer Gebetsstunde erfahren? Zunächst verzeichnet sie ihr staunendes Verweilen bei der Loslösung der Apostel. Sie trennen sich ohne Auffälligkeit. Und sie ließen alles hinter sich, um mit Jesus zu gehen. Hier kommen die zwei Seiten der Freiheit zum Vorschein, die zu dem Bild der "Gerechten Seele" gehören: frei von den Bindungen, in die der Mensch gewöhnlich verstrickt ist, oft ohne dass er sie wahrnimmt, frei und deswegen ganz im Dienst des Herrn. Es geht um die "Liebe", die den "ganzen Menschen" ausmacht; die Liebe macht frei für Gott.

Sie geht dann auf die Verfassung ein, in der sich ein Mensch befindet, der seine Beheimatung nach anderswo zu finden galubt als in Gott. Ihm fehlt der Schwung, jede Last wirkt bedrückend, es fehlt schließlich die "Anziehungskraft", das, was den einen für den anderen zum "Zeichen" macht.

Darauf wendet sich die Exerzitantin in einem Absatz der Armut zu,, die dem Ordensstand eiegen ist. Apostolische Wirksamkeit und Armut sind eng miteinander verbunden. Wie intensiv Maria die Armut beobachtet wissen wollte, besagt ein Abschnitt aus den Aufzeichnungen der Mary Poyntz. Im Jahr 1665, als die Gründerin schon 20 Jahre tot war, sandte die damalige Oberstvorsteherin, die sich in Augsburg aufhielt, einige Unterweisungen zusammen mit einem Brief ins Paradeiserhaus nach München. Die Stelle, die die Armut betrifft, lautet:

'Unsere besondere Weise [der Armut], die unsere liebe Mutter seligen Andenkens uns sowohl in der Regel wie in ihrem eigenen Beispiel hinterlassen hat, wird am besten mit dem Wort erklärt: Wir sollen nichts haben; das heißt, nur benützen, was wirklich notwendig ist, ohne die geringste Anhänglichkeit und ohne allen Eigenbesitz: wir sollten die Armut nicht wie eine Bettlerin empfangen sondern wie eine Königin.'

Als Maria ihre Betrachtung überblickt, wendet sie den Blick von den Ausführungen, die alle betreffen, zurück zu sich selbst. Sie findet, dass sie die volle Freiheit noch nicht erreicht habe. Doch sieht sie den Weg vor sich, den sie weitergehen will: Sehnsucht - Bitte an Gott - Mühe. Für alles andere wird der Herr Sorge tragen.

"Jhs
Von der Berufung der Apostel

Ich sah, dass sie sich von allem voll und ganz gelöst haben und staunte. Dies war der Grund, warum ihnen eine solche Fülle von Gnaden gegeben wurde. Gern hätte ich wissen wollen, welcher Art diese Loslösung war. sie kam mir so friedvoll, einfach und das ganze Leben umfassend vor und wich so sehr von dem ab, wie wir uns gewöhnlich verhalten. Doch wagte ich nicht aufdringlich zu sein, sondern blieb ruhig, bereit, das zu empfangen, was mir gegeben werde. Mir schien, dass die Apostel keinen Erbteil für soch erwarteten und sich keine Zuflucht in irgendeinem Gut dieser Welt vorbehielten; darum stand ihre Liebe und damit der ganze Mensch völlig ihrem Meister zur Verfügung. Ohne diese Verfassung hätten sie nie so reiche Gnade empfangen, noch wären sie fähig gewesen, ihm so viele Dienste zu erweisen.

Mir kam vor, dass eine Zufluchtstätte in irgendetwas, was nicht für Gott ist, dieses Gut sehr beeinträchtigt und es wie zerbrochen, bedrückend und ohne Anziehungskraft erscheinen lässt, wenn man die eben genannte Verfassung damit vergleicht.

für Ordensleute
Ich sah den Unterschied zwischen dem Besitz einer Sache und dem Zustand, von einer Sache ganz eingenommen zu sein. Den Besitz geben wir im Gelübde auf. Besteht aber das andere weiter, indem wir in Anhänglichkeit bei den Dingen stehen bleiben, so gelangen wir nie zur Ruhe und zur Vollkommenheit, noch werden wir viel Gnade empfangen können, noch Kraft oder Zeit haben, um für Gott große Dienste zu tun.

Ich sah ganz allgemein, dass ich weit davon entfernt war, alles auf diese vollkommene Weise zu lassen.; mir kam vor, dass der beste Weg, es zu erreichen, zumindest das Verlangen darnach wäre. Dann sollte ich Gott darum bitten (denn dies schien mir eine seiner besonderen Gaben zu sein, wenn gleich wir selber auch etwas tun müssen, um sie zu erhalten) und dann einige Mühe auf mich nehmen. Jesus sage Amen.

Hier dachte ich über etwas nach, was mir zu Beginn der Exerzitien aufgefallen war, womit ich aber nichts anzufangen wusste; ich hatte auch nicht begriffen, warum es mir gegeben war; nur schien es mir gut zu sein; denn es brachte eine glückliche Freiheit mit sich. Mir kam diese Verfassung als eine friedvolle Loslösung von verschiedenen Dingen dieser Welt vor, so dass diese keinen Teil an mir hätten und ich keinen an ihnen. Ich könnte sie ebensogut besitzen wie entbehren, sie sehen, aber nicht in der Liebe zu ihnen aufgehen, sie gernhaben und doch nciht in ihnen leben. Da ich öfter darüber nachdachte, [fragte ich mich], ob dies ein Zeichen sei, dass meine Zeit, die Welt und alles in ihr zu verlassen, herannahe und dass unser Herr in seiner Güte, die er mir zu erweisen pflegte, mich allmählich von diesen Dingen frei werden lässt, so dass mein Hinübergehen umso leichter sei."