Die Realität als Wirkort Gottes sehen

Sr. Regina Köhler besuchte vom 27. April bis 12. Juni den Ignatian Immersion Course in Manresa in Spanien. Es ist ein jährlich stattfindender Kurs für die vielfältige ignatianische Familie, um das ignatianische Charisma und das Erbe von Ignatius von Loyola zu vertiefen.

Die Teilnehmer des Ignatian Immersion Course

 

35 Teilnehmende aus allen Kontinenten trafen am 12. Juni in Manresa ein, wo Ignatius von Loyola einen wichtigen Teil seines Lebens verbracht hatte . Die meisten waren Jesuiten im Sabbatjahr, sodann einige Schwestern, ebenso Laien, ein Weltpriester und ein evangelischer Teilnehmer. Diese internationale Zusammensetzung war an sich spannend. Aus Europa waren wir nur zu viert: Marion aus der englischen Provinz der CJ, eine Schwester aus Polen und ein Jesuit aus Italien. Die meisten kamen aus dem östlichen Teil der Welt gefolgt von Afrika. Später hörten wir, dass die Kursleitung 20 weiteren indischen Jesuiten absagen musste und dass es 288 junge Jesuiten in der Formation einer afrikanische Provinz gibt. Unser Kurs spiegelte die Realität der Kirche wieder. Die Welt hat ein Gefälle, und die Zukunft der Kirche liegt im Osten und in Afrika, jedenfalls nicht in Europa.

Die Sprache war englisch. Allerdings war es selbst für Muttersprachler schwierig, die verschiedenen Akzente zu verstehen, sehr tröstlich. Anfangs saßen die Ländergrüppchen eher getrennt an den Tischen und spiegelten einen gewissen Ost-West-Vorbehalt wider. Im Lauf der Zeit entstand mehr Neugier und Offenheit für einander und die Gruppen begannen sich zu mischen.

Morgens und nachmittags lauschten wir den Vorlesungen, die mit ausgezeichneten Reflexionsfragen und etlicher Lektüre für die Vertiefung in der Pause endeten. Die ersten zwei Wochen führte Javier Mellonie SJ uns in die Biografie und das Geistliche Tagebuch des Ignatius von Loyola ein. Später ging es um das Exerzitienbuch. Die Exerzitien sind ein transformatorischer Prozess durch den wir Gott, die Welt und uns selbst neu verstehen und Gott in allem finden lernen.

Der erste Sonntag führte uns auf den Montserrat in die dortige Benediktinerabtei. Dank der guten Beziehungen zwischen den Jesuiten und Benediktinern kamen wir an den langen Warteschlagen vorbei erst zur Messe und dann vorbei an der schwarzen Madonna Unsere Liebe Frau von Montserrat bis hinein in den klösterlichen Kreuzgang und die wunderschöne Gartenanlage, die normalerweise keiner zu Gesicht bekommt. Einige bestiegen anschließend den Gipfel des Berges, aber die Mehrheit bevorzugte die schattige Mittagspause und den Kaffee im Touristengetummel.

In der nächsten Woche tauchten wir in achttägige Einzelexerzitien ein. Individuell begleitete Exerzitien sind auch für Jesuiten in manchen Teilen der Welt keine Selbstverständlichkeit. Wenn sehr viele Menschen in einer Provinz und etwa 50 einem Konvent leben, wird Einzelbegleitung zum Luxusgut.

 

Pilgern auf den rastlosen Spuren des Ignatius

 

Nach den Exerzitien standen Pilgertage auf dem Programm. Über Zaragoza fuhren wir nach Loyola und dann zu dem von Franz Xavier in Javier. Interessant fand ich den biografisch psychologischen Ansatz, von Ignatius als dem innerlich und äußerlich tief verwundeten jungen Mann zu reden, dessen rastlose und radikale Suche ihn schließlich zum Gründer des Jesuitenorden werden ließ. Es fielen Sätze wie: Ignatius wurde äußerlich verwundet, aber es war der Anfang durch den Heilung auch seiner inneren Wunden möglich wurde. Wir werden dort verwundet, wo wir verwundet werden müssen, um Heilung erfahren zu können. Diese eigentliche Wunde ist uns meist verborgen. Es braucht Zeit, bis wir sie erkennen und Heilung erfahren. Wo bin ich verwundet und brauche Heilung?

In Loyola, dem Geburtsort von Ignatius, konnte man den Prunk der späteren Bauausführungen nicht übersehen. So lautete eine Frage: Was würde man am Eingangstor vor dem Haus eines Menschen erwarten, dem es stets um die größere Ehre Gottes ging? … Es ging auch bei uns Jesuiten mitunter um unsere Ehre und darum zu zeigen, dass wir toll sind. Sich relativierend und bei größtem Respekt vor dem Gründer auch Fehler benennen -  das fand ich sehr sympathisch, menschlich, nahbar! Es hat uns angeregt darüber nachzudenken, wie wir über unsere Gründer:innen und unsere Geschichte reden.

 

Auf dem Rückweg bewunderten wir die architektonisch beeindruckenden Basilika Unserer Lieben Frau von Arantzazu, eine riesige in den Fels gehauene Kirche mit Krypta und besichtigten bei Zaragoza eine riesige ehemalige Klosteranlage der Kartäuser. Aktuell lebt dort die Gemeinschaft Chemin Neuf. Sie renovieren die Anlage nach und nach und richteten ein Formations- und Schulungszentrum für Paare und Familien ein. Jede Familie bewohnt dann eine der renovierten Kartäuserzellen. Chemin Neuf geht damit einen sehr kreativen Weg in die Zukunft.

Ignatius der Networker

 

Die zweite Halbzeit des Kurses war inhaltlich sehr vielfältig und spannend. Ich nenne nur einige Themen: Christopher Staab SJ flog aus Texas ein und machte uns mit den geistliche Traditionen vertraut, aus denen Ignatius schöpfte und mit dem Leben der frühen Gesellschaft Jesu. Ignatius war ein Networker! Viele Frauen haben ihn begleitet, unterstützt und auch geprägt. Aber erst der dritte Anlauf, Gleichgesinnte zu sammeln, gelang. Die Gründe sind auch für heutige Gemeinschaftsgründungen aufschlussreich.

Auch Hung T. Pham SJ reiste aus Amerika an und stellte in genialer Weise einen engen Zusammenhang zwischen der spirituellen Dynamik der ersten Jesuiten, den Konstitutionen und Ignatius eigener biografisch-spirituellen Reise her. Er wollte uns und Organisationen von heute eine Idee liefern, wie derselbe Geist bei der Gründung einer Institution hineingegossen werden kann.

 

Identität - Mission - Unterscheidung

Per Zoom bekamen wir Einblick in das Apostolat der Jesuitenmission auf den Philippinen, wo Menschen über Musik mit Gott in Berührung gebracht werden. Ein anderes Mal ging es um ein Beispiel von Inkulturation in Südafrika. Ms. Puleng Matsaneng vom Jesuit Institute South Africa, die über ignatianische Spiritualität im afrikanischen Kontext forscht und im Bereich Spiritualität arbeitet, berichtete von ihren Interviews mit Einheimischen. Daraufhin wurde die Exerzitienarbeit geändert und an die Bedarfe von Einheimischen angepasst. Z.B. wurden tägliche Gesprächs- und Austauschgruppen eingerichtet, die ganz nebenbei auch den Bedarf an Psychotherapie und Gesprächsangeboten auffangen, die sich viele Menschen dort nicht leisten können.

Mit José Ignacio García SJ ging es um Kriterien und Herausforderungen für die heutige Mission in einer gebrochenen Welt wie z.B. den Dienst der Versöhnung, das Dilemma zwischen Identität und Mission und Unterscheidung in Gemeinschaft. 

Den Schluss bildete Chukwuyenum Afiawari SJ zum Thema globale Kulturen, der bereits durch seinen Werdegang beeindruckte. Als Afrikaner hatte er stets USA-Formationsleiter und eine sehr internationale und interkulturelle Ausbildungszeit. Heute ist er Direktor des Communication Office der Generalkurie in Rom. Mit ihm ging es darum, wie Kulturen ständig interagieren und uns beeinflussen und dass jede Person bereits eine eigene Kultur ist. Die entscheidende Frage in diesem Prozess ist, ob ich meine Kultur als besser betrachte als die andere, denn wenn ich weniger vom Gegenüber erwarte, höre ich nicht wirklich zu.

Blick auf Manresa - links die Basilika, rechts das große Gebäude unsere Unterkunft.

Inhaltlich nehme ich so viel für Kopf und Herz mit, dass ich viele Seiten füllen könnte. Schließen tue ich jedoch mit einem Satz, der eher am Rande auftauchte und doch gleichsam meine Terziatszeit zusammenfasst: „Die Realität als Wirkort Gottes sehen und lieben lernen und zwischen den großen Herausforderungen des Lebens die kleinen Dinge genießen“.

Text und Bilder: Sr. Regina Köhler CJ