"Fühlen mit der Kirche" in spannungsreichen Zeiten

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England gab der Loyalität wieder den Charme von Mittelalter-Romanen, als Prinz William seinem königlichen Vater Charles III. kniend den Treueeid leistete. Wenn Politiker ihren Treueeid auf die Verfassung schwören, wird dagegen in Deutschland allenfalls noch diskutiert, ob sie den "Gotteszusatz" verwenden.

Fast ein wenig beängstigend finde ich den Eid, den die Rekruten der Bundeswehr leisten. Es sterben in Europa wieder Männer und Frauen für ihr Vaterland, zum Schutz ihrer Mitbürger – und gleichzeitig scheint jeder Tod durch Krieg zwar heldenhaft, aber sinnlos, vermeidbar.

Mich berühren die Priesterweihen sehr oder die Ordensaufnahmen. Vielleicht, weil es da für mich
auch mit Blick auf die eigenen Gelübde weniger um eine soldatische oder formale Treue und Loyalität geht, sondern eher um ein großzügiges Verschenken des ganzen Lebens – um eine Lebenshingabe.

Allen ist gemeinsam, dass Menschen einer Institution lebenslang oder zumindest unter (befristetem) Einsatz ihres Lebens Treue und Loyalität versprechen.

Unmodernes Ideal

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Gemessen an Hochzeiten, wo ich einer anderen Person Treue verspreche, ist das eher unromantisch. Kann ich mich so an eine unpersönliche Institution binden? Eine Organisation,
die vielleicht von Menschen geleitet wird, die ich nicht schätze? Ist es nicht naiv, sich so existenziell
an einen Staat oder eine Gruppe zu binden? Treue und Loyalität sind nicht mehr modern, und trotzdem: Es gibt Menschen, die geloben sie.

Was macht diese Versprechen aus? Warum kann man darauf eine Zukunft aufbauen? Und, um es
konkret zu einer katholischen Kirche zu formulieren: Kann ich dieser Kirche mit ihren schlimmen Verfehlungen, ihrer Hierarchie und ihren inneren und äußeren Grenzen noch loyal sein? Wie kann ich heute noch loyale Katholikin sein? Oder will ich das gar nicht?

Ein höheres Ziel

Bei Loyalität geht es zunächst um eine Haltung, eine Einstellung, die mich mit anderen, auch Höhergestellten, für ein höheres Ziel verbindet. Das ist der Unterschied zur reinen Solidarität: Bei der Loyalität eint die Vision – das Wohl des Staates oder die Frohe Botschaft etwa. Solidarisch
sein kann ich auch mit Personen, deren Meinung ich nicht teile.

Bei der Treue geht es dann darum, wie verlässlich ich mich durch die Loyalität oder Solidarität an die anderen Personen gebunden habe. Ich kann loyal sein gegenüber meinem Arbeitgeber oder dem Staat, weil ich in meiner Arbeit oder der Staatsform etwas entdecke, was über den Alltag hinausgeht. Und das lässt mich deswegen auch mal einen schlechten Chef oder eine ärgerliche
Regierung ertragen. Ich bin zutiefst solidarisch gegenüber meinen Geschwistern und werde sie nach außen immer verteidigen – was aber genau nicht bedeutet, dass ich ihnen intern nicht auch deutlich die Meinung sage.

So ist das für mich auch mit der Kirche: Ich bin der Kirche gegenüber loyal, weil ich nach wie vor
glaube, dass sie der Ort der Frohen Botschaft ist. In der Kirche verbinde ich mich mit vielen Menschen über Raum und Zeit zur Botschaft Jesu Christi – zum Glauben an ein Leben und eine Liebe Gottes über den Tod hinaus. Im Orden und bei meinem Einsatz in der Seelsorge wird mein
Glaube als Lebenshingabe ganz konkret im Alltag. Deswegen spreche ich jeden Sonntag das Glaubensbekenntnis, deswegen bleibe ich der Kirche treu.

Trotzdem: Die Loyalität zur Kirche bedeutet für mich auch viele innere und äußere Konflikte. Als
emanzipierte Frau und Theologin in einer Kirche zu sein, in der die Macht allein und gesetzlich in der Hand von (älteren) Männern liegt, die damit ein ganzes System – nicht nur aus meiner Sicht – problematisch prägen: Für mich ist das manchmal schwer zu ertragen.

Diese Spannung auszuhalten hilft mir meine Ordensgründerin Mary Ward. Als sie 1611 einen apostolischen Orden für Frauen gründete – also einen Orden, in dem Frauen auf die Sakramente vorbereiteten und das Evangelium verkündeten –, war das noch etwas Undenkbares. Mary Ward stand schnell unter Häresieverdacht, kam ins Gefängnis, ihr Orden wurde aufgelöst. Die Kirche war hier nicht loyal zu ihrem Mitglied, sondern hat sich aus Sorge um die eigene Identität scharf abgegrenzt.

Kein Entweder - Oder

Dennoch gibt es uns weiterhin. Warum? Weil Mary Ward die Spannungen zwischen der Loyalität gegenüber der Kirche und der Treue gegenüber der eigenen Berufung ausgehalten hat. Sie hat den Konflikt nicht in ein Entweder-Oder aufgelöst, sondern sie konnte zwei Wahrheiten und Loyalitäten, so unvereinbar sie erschienen, nebeneinander stehenlassen. Und so gab es immer
Schwestern, die ihrem Geist und ihrer Gründung treu waren, die einfach weitergemacht haben – bis wir 300 Jahre später voll anerkannt wurden.

Im Exerzitienbuch von Ignatius von Loyola, also in seiner Anleitung zur spirituellen Vertiefung, gibt es ein eigenes Kapitel zum "Fühlen mit der Kirche". Das klingt erst mal sehr steil. Im Ergebnis geht es um eine positive Grundhaltung zur Kirche. Ganz praktisch bedeutet dies etwa auch, erst einmal positiv vom anderen zu denken und lieber nachzufragen, wenn ich einzelne Aussagen nicht verstehe oder schwierig finde. Das hilft bei manchen kirchlichen Verlautbarungen oder Aussagen von Amtsträgern. Manchmal auch nicht.

Und auch das macht es mir leichter: Ich verdanke der Kirche – meinem Bistum –, dass ich eine gute
Jugendarbeit hier in Hannover machen kann, Jugendlichen einen guten Ort für ihre Entwicklung bieten kann. Ich erlebe in der Kirche weit mehr "gute Hirten" als schlechte. Ich habe unzählige Kollegen und Kolleginnen, die sich für die Kirche menschlich oft verwundet haben und trotzdem weiter tief verbunden einsetzen. Ich kenne viele Ordensschwestern und -brüder, die genauso
ringen wie ich und weiter beten und arbeiten für die Kirche.

Mit Spannungen wachsen

Ich arbeite mit Ehrenamtlichen zusammen, die in einer Zeit, in der es weit modernere und "hippere" Freizeitmöglichkeiten gibt, Firmgruppen anleiten, an der Tafel mitarbeiten, sich im Gemeinderat engagieren. Und fast alle haben ihre eigenen Konflikte mit der Kirche. Zusammen mit ihnen allen kann ich wachsen. Kann ich lernen, andere Meinungen auszuhalten, gemeinsam
in Konflikten neue Wege zu finden, zu denen ein Einzelner nie in der Lage wäre.

Kirche ist immer mit ihren Spannungen gewachsen, nie ohne sie. Und so wachse auch ich immer
wieder als Katholikin. So lange die Kirche noch die Frohe Botschaft verkündet, auf die sie sich verpflichtet hat, hat sie eine Zukunft – das ist meine Überzeugung, meine Loyalität. Und vielleicht ist das manchmal auch meine (Kampf-)Ansage an die Kirche als Institution.

Sr. Birgit Stollhoff CJ

Wir danken der Katholischen Sonntagszeitung, in der dieser Text zuerst erschein, für die Möglchkeit, ihn hier zu übernehmen.