Interview mit Provinzoberin zur Zukunft des Ordens

Eigenständige Persönlichkeiten in Gemeinschaft

Interview mit Sr. Sabine Adam CJ über die Zukunft des Ordens

Die Mitteleuropäische Provinz der Congregatio Jesu hat fast jedes Jahr Neueintritte, wenn auch nicht in großer Zahl. Im Vergleich zu anderen Ordensgemeinschaften scheint sie deshalb ziemlich attraktiv zu sein. Stimmt Sie das hoffnungsfroh für die Zukunft der Congregatio Jesu?

Sr. Sabine Adam CJ: Ich bin schon hoffnungsfroh in dem Sinne, dass die Congregatio Jesu noch eine gute Lebenszeit vor sich hat. Mary Ward hat ja gesagt, unsere Lebensform werde ewig bestehen, aber in welcher Form genau, das blieb offen.
Ich glaube, dass wir mit unserer Spiritualität ein zeitgemäßes Konzept für die plurale Gesellschaft anbieten können. Darin geht es stark um die Themen Entscheidungshilfe und Sich-Festmachen-in-Gott, um mit den Spannungen unserer Zeit umgehen zu können. Unsere Spiritualität ist zugleich zeitgemäß und herausfordernd, weil wir mitten in der Welt stehen.
Aber insgesamt nimmt die Bereitschaft, sich auf eine Bindung einzulassen, stark ab. Das spüren wir auch.

Das Gesicht der Congregatio Jesu wird sich verändern. Ich denke, dass die Provinzgrenzen in Zukunft auch weltweit immer weniger eine Rolle spielen. Die Schwestern werden künftig stärker in anderen Ländern und anderen Kontinenten eingesetzt werden, weil sie flexibler werden. Ich kann mir vorstellen, dass es auch eine noch intensivere Zusammenarbeit mit den ebenfalls auf Mary Ward zurückgehenden Loreto-Sisters geben wird, mit denen wir jetzt bereits kooperieren.

Gespräche nach der Ewigprofess von Sr. Birgit und Sr. Helena am 10. September 2016 in München. Foto: Riffert

Gespräche nach der Ewigprofess von Sr. Birgit und Sr. Helena am 10. September 2016 in München. Foto: Riffert

Gibt es nicht bereits jetzt schon eine Zusammenarbeit der verschiedenen CJ-Provinzen beim Noviziat?

Sr. Sabine Adam CJ: Im Moment haben wir in ganz Europa wenig Nachwuchs. Zwar haben alle europäischen Provinzoberinnen Interesse an der Zusammenarbeit bekundet. Dafür müssten wir aber europaweit mehr Novizinnen haben. Derzeit haben wir nur in England und in Deutschland je eine. Allerdings gibt es in England aktuell drei Frauen, die sich für das Postulat interessieren und in Italien sind vor kurzem zwei in die erste Probezeit aufgenommen worden. Das lässt hoffen.

Qualität und spiritueller Tiefgang

Haben Sie damit gute Erfahrungen gemacht, dass die Congregatio Jesu den Aspekt des Ignatianischen seit einigen Jahren stärker hervorhebt und nicht mehr allein auf Mary Ward fokussiert ist?

Sr. Sabine Adam CJ: Die Congregatio Jesu war schon immer ignatianisch ausgerichtet und hatte sowohl Mary Ward als auch den heiligen Ignatius im Blick. In den Zeiten, in denen wir nicht ignatianisch sein durften, richteten sich die Schwestern auf die Gottesmutter Maria aus. Die Verehrung Mary Wards geschah dann eher im Stillen.
Ich habe den Eindruck, dass das Ignatianische mit seiner langen Tradition eine anerkannte Spiritualität ist. Damit wird auch Qualität verbunden und spiritueller Tiefgang. Das merke ich an den Anfragen, die zu uns kommen. Nicht nur verschiedene Bistümer suchen ignatianisch geprägte Schwestern für die Mitarbeit an bestimmten Stellen. Es gibt viel Interesse an Frauen, die in dieser Spiritualität unterwegs sind. Das finde ich schon sehr erfreulich.

Was denken Sie, wie die Congregatio Jesu hier zu Lande in 20, 30 Jahren aussehen könnte: Gibt es dann noch einige wenige Niederlassungszentren, in die alle Schwestern ziehen?

Sr. Sabine Adam CJ: Ich stelle mir vor, dass wir in 20 Jahren ein Altenheim haben werden und dass wir außerdem einige kleinere Gruppen haben werden, in denen Schwestern leben. Ich gehe auch davon aus, dass es mehrere allein lebende Schwestern geben wird. Ich denke, es wird dann Formen geben, sich regelmäßig zu treffen und gemeinsame Tage zu verbringen, damit man das Gemeinschaftsleben mit der individuellen Sendung verbinden kann.

Es wird offenbar schwieriger, Sendungen mit dem klassischen Ordensleben zusammenzubringen?

Sr. Sabine Adam CJ: Es wird von den Lebensrhythmen her schwieriger, weil wir Schwestern haben, die am Wochenende oder am Abend arbeiten müssen und dann nicht gleichzeitig bei den anderen Schwestern in der Niederlassung sein können.

Und ich sehe noch einen Trend: Die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist groß, aber die Fähigkeit miteinander auch Konflikte durchzustehen, nimmt ab. Früher haben die Schwestern auf einer mehr formalen Ebene zusammengelebt. Das war leichter, weil man sich nicht so stark auf der persönlichen Ebene gezeigt hat und einander auch nicht so viel mitgeteilt hat. Man hatte die gemeinsamen Gebetszeiten, die gemeinsamen Mahlzeiten, und am Abend hat man sich ins Zimmer zurückgezogen und die verbleibenden Aufgaben erledigt, zum Beispiel als Lehrerin Aufsätze korrigiert.

Heute haben wir einen viel größeren Anspruch an authentischer Begegnung, die es früher nicht in diesem Maß gegeben hat. Heute prallen die individuellen Eigenheiten und Prägungen stärker aufeinander, weil der frühere formale Puffer weggefallen ist.

Individualisierung auch im Orden

Das ist eine spannende Analyse. Die Ansprüche an eine Gemeinschaft sind in der heutigen individualisierten Zeit offenbar deutlich größer geworden?

Sr. Sabine Adam CJ: Die sind deutlich größer geworden. Man möchte sich persönlich zeigen und einbringen, wird dadurch aber auch verletzbarer und angreifbarer. Dann kann es schwierig sein, sich mit einer Person beim Essen zusammenzusetzen, nachdem man sich gerade zuvor mit ihr gestritten hat. Da gibt es ein großes Spannungsfeld, vor dem man sich früher dadurch geschützt hat, dass man erst gar nicht persönlich wurde. Man hatte sich die Mitschwestern nicht ausgesucht, mit denen man lebte, denn sie waren einem „von Gott zugeteilt“ und entsprechend formal hat man sich in der Regel verhalten. Nur wenige Schwestern sprachen überhaupt über persönliche Dinge miteinander. Auch heute sucht man sich die Schwestern nicht aus, aber es wird stärker überlegt, ob Schwestern zusammenpassen. Manchmal gelingt das gut, manchmal ist es aber auch sehr schwer.

Jüngere Schwestern der Congregatio Jesu heute: Links Sr. Magdalena Winghofer CJ, rechts Sr. Gabriele Martin CJ. Das Bild wurde nach der Ewigprofess von Sr. Birgit Stollhoff CJ und Sr. Helena Erler CJ am 10. September 2016 aufgenommen. Foto: Riffert

Jüngere Schwestern der Congregatio Jesu heute: Links Sr. Magdalena Winghofer CJ, rechts Sr. Gabriele Martin CJ. Das Bild wurde nach der Ewigprofess von Sr. Birgit Stollhoff CJ und Sr. Helena Erler CJ am 10. September 2016 aufgenommen. Foto: Riffert

War man damals auch noch per Sie im Orden?

Sr. Sabine Adam CJ: Ja, man war normalerweise per Sie. Zum Teil mussten sich sogar leibliche Schwestern, die gemeinsam in den Orden eingetreten waren, der Form halber siezen. In diesen Zeiten gab es keinen Anspruch, dass die Bedürfnisse des Individuums berücksichtigt werden. Das war übrigens in anderen Ordensgemeinschaften nicht anders. Auch im Familienleben gab es damals weniger diesen Anspruch nach persönlichem Glück. Glück war damals, wenn die Kinder gesund waren und alle zu essen hatten. Man hat den Alltag gemeinsam organisiert und jeder hatte seine Aufgaben. Das war für das Gemeinschaftsleben insgesamt einfacher.

Das heißt, die Individualisierung setzt sich auch in den Ordensgemeinschaften fort?

Sr. Sabine Adam CJ: Das ist sicher so. Wir sind alle sehr unterschiedlich, obwohl wir demselben Orden angehören. Auch unser Gemeinschaftsleben gestaltet sich heute vor den gewachsenen Ansprüchen in Bezug auf persönliches Glück.

Allerdings haben die Schwestern, die zu uns kommen, eine sehr lange Zeit der Prüfung hinter sich. Sie fällen eine bewusste Entscheidung fürs Leben in unserer Gemeinschaft. Ich muss sagen, dass sie wirklich Persönlichkeiten von Format sind und etwas für ihr Leben wollen. Das macht mir Mut für die Zukunft des Ordens.
Die Fragen stellte Gabriele Riffert.