Mary Ward - Schriften und Worte

Vor einem Jahr ist die erste deutschsprachige Gesamtausgabe der Texte von Mary Ward erschienen. Sie enthält die bekannten Aussprüche Mary Wards und viele weitere, auch bisher unbekanntere Briefe und andere Texte.
Zwar waren sie alle schon in der vierbändigen Quellenausgabe „Mary Ward und ihre Gründung“, die 2007 in der Reihe Corpus Catholicorum des Verlags Aschendorff herausgegeben wurde, zu finden – aber jeweils in der Originalsprache. Und die Quellen sind sprachlich ausgesprochen heterogen, denn die weltgewandte Mary Ward hat Englisch, Latein, Italienisch, Französisch und ein wenig Deutsch gesprochen und geschrieben.
Die Verfügbarkeit der Quellen für die Forschung
Als die Quellenausgabe vor nun knapp zwanzig Jahren erschien, freuten sich Theologen und Historiker. Endlich waren für die Gründung Mary Wards erste Quellen kritisch ediert. Für viele Männerorden – etwa Benediktiner und Franziskaner (und Jesuiten sowieso) – gibt es seit langem jeweils spezialisierte wissenschaftliche Gesellschaften mit regelmäßigen Tagungen und Fachzeitschriften, in denen internationale Forscherverbünde zusammenarbeiten. Wir hingegen hatten - wie viele weibliche Ordensgemeinschaften - bislang oft nur anlässlich unserer Jubiläen und halb oder ganz im Eigenverlag publiziert. In allgemeinen Darstellungen zur Kirchengeschichte sind wir bis heute manchmal unsichtbar. Da die mit uns verbundenen Schulen von Personen erfüllt und umgeben waren, die die Schwestern kannten, fiel diese darüberhinausgehende Unsichtbarkeit vielen von uns lange gar nicht einmal auf.
So möchte ich mich einerseits nochmal stark machen für die Quellenausgabe, die in unseren eigenen Reihen zunächst tatsächlich unter Vorbehalt geriet in dem Empfinden, durch die Herausgeberschaft posthum seien die großen Vorarbeiten von Immolata Wetter verdeckt, die aber (und so macht man das) in der Einleitung beschrieben sind und die hiermit auch noch einmal ganz ausdrücklich benannt seien. Der Nachlass dieser großen Mitschwester zeigt, wie weit sie mit der Bearbeitung der Quellen bereits gekommen war. All diese schwesterlichen Fragen der Bearbeitungsgeschichte rücken allerdings etwas in den Hintergrund, was – aus Sicht einer erst neu hinzugekommenen Jüngeren, die das Erscheinen der Quellenausgabe noch von „außen“, aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft, miterlebte – besser ins Licht gehören würde: den immensen Wert der Sache.
Für historisches Arbeiten ist die Verfügbarkeit von Quellen, original oder in kritischer Edition, unverzichtbar. Nur wenn es sie gibt, findet der „Befund“ der historischen Realität Eingang in die Darstellungen von Kirchengeschichte und damit auch in das Gesamtbild, dass die Kirche von sich selbst und dass die Gesellschaft von ihr hat. Die Geschichte der Congregatio Jesu ist darin ein wichtiger Faktor bis hin zur Kirchenrechtsgeschichte und zur Bildungsgeschichte, in deren Darstellungen sie bislang aber fehlt. Da ist nachzuarbeiten.
Sprachliche "Mobilität" Mary Wards deutsch lesbar
Als ich selbst, noch vor meinem Eintritt, die Quellenausgabe zum ersten Mal in einer Hochschulbibliothek suchte und aufschlug, stellte ich die Bücher aber – daran erinnere ich mich, als sei es erst gestern gewesen – trotzdem fast nach wenigen Sekunden wieder zurück ins Regal.
Ich suchte zwar eine wissenschaftlich profunde Lektüre zu Mary Ward, aber das Sprachengemisch machte mir zu schaffen. Zwar hatte ich mich daran gewöhnt, Mittelalter aus dem Lateinischen zu entziffern und so weiter. Aber das Gemisch Mary Wards, wo ein Dreizeiler aus altem Englisch einem Zweizeiler aus Italienisch folgt und wonach dann wieder seitenlang Latein anschließt, war mir spontan zu viel an sprachlicher Mobilität. Erst Jahre später, als ich die Bände erneut in die Hand nahm, dann auf der Suche nach bestimmten Texten, nicht zur informativen „Lektüre“, erschloss sie mir schnell wieder ihren großen Wert.
Deshalb ist, und das ist mein zweites Anliegen, die vor einem Jahr neu erschienene Übersetzung so wichtig. Eine Übersetzung muss sich zwar heute, in der Zeit frei verfügbarer automatischer Übersetzerprogramme, immer rechtfertigen. Aber diese kann das wohl! Sie bietet erstmals alle Texte von Mary Ward einsprachig vollständig – ausgerechnet in dieser Sprache, die sie selbst nur relativ wenig lernte. Deutsch muss ihr überdurchschnittlich schwergefallen sein. Dennoch wurde die von ihr gegründete Gemeinschaft gerade im deutschen Sprachraum historisch früh erfolgreich. Deshalb gibt es besonders viele deutschsprachige an ihr interessierte Menschen. Für sie alle ist die Ausgabe als „Lektüre“ und Mary Ward insgesamt öffentlich noch einmal deutlich verfügbarer geworden.
Die Übersetzung hat am Einband dieselbe dunkelrote Farbe wie die Quellenausgabe und ist in derselben Reihe als Band Nr. 50 erschienen. Sie wirkt, wenn man das Buch einzeln irgendwo sieht, auf den ersten Blick vielleicht wie ein Teil davon. Wenn man sie aufschlägt, hat man aber etwas Neues in den Händen: das erste vollständige einsprachige Mary-Ward-Lesebuch. Es ist im Handel und in Bibliotheken allgemein zugänglich. Der Übersetzung merkt man die Vertrautheit mit der Mary im Original an, sprachlich und geistlich. Damit gibt es einen neuen und großen Raum für die Begegnung mit der großen Frau.
MARY WARD – SCHRIFTEN UND WORTE, herausgegeben von Sr. Ursula Dirmeier CJ,
erschienen im Aschendorff-Verlag, ISBN 978-3-402-10529-0
Erhältlich im Buchhandel,
420 Seiten, gebunden, Hardcover
Preis 73 Euro