Weihnachtsbrief der Generaloberin

Ich bin das Licht, das in die Welt gekommen ist, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt.

Joh 12,46

 

Liebe Gefährtinnen im Herrn,

dieser Weihnachtsbrief entsteht in einem Moment, da wir von ganz verschiedenen Gegenden unserer Erde in Rom im Generalat zusammenkommen. Jede von uns bringt im Herzen vielschichtige Erfahrungen aus ihrer Heimat mit, Schönes, wertvolle Erinnerungen, aber ebenso Sorgen, Ratlosigkeit und Trauer und angesichts der vielfältigen Nöte in unseren Ländern und Kontinenten die Sehnsucht, "es möge besser werden".

Täglich erreichen uns aus eigenem Erleben und über die Medien neue Nachrichten von überall auf der Welt – in den meisten Fällen sind es bedrohliche, besorgniserregende Nachrichten. Unsere Welt ist erlösungsbedürftiger denn je.

  • Das scheinbar unaufhaltsame Zusteuern auf eine Klimakatastrophe, die in großen Teilen unseres Planeten das Überleben jetzt schon unmöglich macht.
  • Brutale und zerstörerische Kriege an verschiedenen Schauplätzen unserer Erde, in denen unschuldigen Menschen unendliches Leid zugefügt wird, in denen Mächtige sich Macht und Reichtum auf Kosten anderer sichern wollen.
  • Hunger und Elend in immer mehr Gebieten unserer Erde.
  • Millionen von Menschen, die nicht wissen, wie sie den nächsten Tag überleben sollen, ohne Nahrung, ohne Dach über dem Kopf, ohne medizinische Versorgung.
  • Terror und Folter in menschenverachtenden Systemen, die die menschliche Würde und Freiheit mit Füßen treten - Missbrauch Schutzbedürftiger in allen nur erdenklichen Formen, der unsere Welt und auch unsere Kirche erschüttert.
  • Menschenhandel, von dem insbesondere wehrlose Kinder und Frauen betroffen sind.
  • Die Auswirkungen einer Pandemie, die die ganze Welt erschüttert und zu globalen Krisen geführt hat, von denen wir uns noch lange nicht erholt haben.

Die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden. Wir erleben in unserer Welt Erlösungsbedürftigkeit in einem kaum jemals gekannten Ausmaß.

Mitten dahinein feiern wir auch in diesem Jahr wieder die Menschwerdung unseres Gottes. Eine Botschaft des Heils, der Rettung, des Friedens auf Erden – ein krasser Gegensatz zu dem, was uns in unserer Welt als Realität begegnet. Ist Weihnachten eher eine Sehnsucht als eine Realität unseres Glaubens? In der Betrachtung über die Menschwerdung zu Beginn der Zweiten Woche der Exerzitien werden wir eingeladen, in den Blick der drei göttlichen Personen einzutauchen, die die Erde betrachten, die Menschen in der Gebrochenheit ihrer Existenz und Erlösungsbedürftigkeit. In ihrer Ewigkeit beschließen sie, "dass die zweite Person Mensch werde, um das Menschengeschlecht zu retten". Wir sollen hören, "was die göttlichen Personen sagen, nämlich: Lasst uns Erlösung des Menschengeschlechts bewirken" [Ex 102/107] Es ist ein universeller Blick auf die Welt in ihrer ganzen Verschiedenheit an Völkern, Kulturen, Situationen – ohne Urteil, nur voll von Erbarmen und dem Willen zu retten. Kein Volk, kein einzelner Mensch fällt aus diesem Blick heraus, niemand soll verlorengehen.

Von Ewigkeit her bestimmt, real geworden in Jesus Christus ist Menschwerdung, ist Erlösung geschehen und muss sich doch immer wieder neu vollziehen. Hier sind wir alle sehr persönlich gefragt. In der dritten Hinführung zur Betrachtung heißt es in den Exerzitien [Ex104], dass wir um die innere Erkenntnis des Herrn, der für uns Mensch geworden ist, bitten – damit wir Ihn mehr lieben und Ihm mehr nachfolgen.

In der Menschwerdung seines Sohnes will Gott uns begegnen, unser Herz berühren und uns die unerschütterliche Gewissheit geben, dass wir geliebt und gerettet sind. Wenn diese Erfahrung einmal in unser Herz fällt, wird zwar nicht alles plötzlich leicht oder lösbar, wird die Welt nicht plötzlich heil, aber wir können mit Leid und Schmerz in unserem Leben und in unserer Welt anders umgehen. Wenn unsere Erkenntnis des menschgewordenen Herrn uns dazu führt, Ihn mehr zu lieben, Ihm mehr nachzufolgen, dann drängt es uns, die Botschaft des Heils mit den Menschen, zu denen wir gesandt sind, zu teilen und durchlässig zu werden für Gottes Wirken auch heute, in unserer so verwundeten Welt. Dann drängt es uns, unseren kleinen Beitrag im Erlösungsgeschehen zu geben, so wie wir es vermögen – vielleicht erschüttert und verwundet, aber dennoch voller Hoffnung. Auch die Schwere ist Teil der Menschwerdung. Ignatius betont wiederholt die mühsamen Bedingungen, unter denen Gott Mensch wird. Er spricht von "sich Mühen", "höchster Armut", "Durst, Hitze und Kälte", "Beleidigungen und Anfeindungen", [Ex116] die der menschgewordene Gottessohn erträgt.

Die Menschwerdung unseres Gottes bringt unerschütterliche Hoffnung – für jeden Menschen und für unsere Welt mit all ihrer Not, mit all ihrem Elend, für eine Welt, in der Aussichtslosigkeit oft die Oberhand zu gewinnen scheint. So dürfen wir – wenngleich mit brennendem Herzen – ruhig und zuversichtlich sein und uns unserer Gegenwart und Zukunft voller Hoffnung stellen. In der Nachfolge Jesu sind wir gerufen, einander und unserer Welt diese Botschaft des Heils zu bezeugen und erfahrbar werden zu lassen.

Ich wünsche Ihnen, jeder einzelnen, die Erfahrung, wieder neu und tief angerührt zu werden von der unendlichen Liebe Gottes, wie sie uns in Seiner Menschwerdung zuteilwird. Und ich wünsche uns allen, dass wir durchlässig werden für die empfangene Liebe, dass sie durch uns verströmt werde zu den Menschen, mit denen wir unser Leben teilen, die uns anvertraut sind, zu denen wir gesandt sind. Dann geschieht in unserer Welt Veränderung – Veränderung, die relevant ist, die einen Unterschied macht. Es geschieht ein Stück Menschwerdung.

Vereint im Gebet grüße ich Sie alle, auch im Namen des gesamten Generalrates, und wünsche Ihnen frohe und gesegnete Weihnachten!

In herzlicher Verbundenheit

Veronica Fuhrmann CJ