Biblischer Impuls: Von Liebe - und ihrem Gegenteil

Gedanken zum Evangelium nach Johannes (Joh 13,31–33a.34–35)

"Als Juristin würde ich nie so von Gerechtigkeit reden, als gäbe es die einfach so und ein Arzt würde nie so von Gesundheit sprechen, als wäre das ein Dauerzustand. Aber die Betriebswirte reden von Qualität, als wäre die ganz einfach festzustellen und die Theologen reden genauso inflationär von Liebe." So habe ich zu Beginn meines Management-Studiums vor vielen Jahren einmal über das Fach "Qualitätsmanagement" geschimpft.

Das Management-Studium habe ich gut beendet und inzwischen bin ich selber auch Theologin. Hat sich meine Meinung seither geändert? Vielleicht ein bisschen.

In der Öffentlichkeitsarbeit habe ich mich damit auseinandergesetzt, dass Qualität vor allem bedeutet, das Passende für die jeweilige Zielgruppe anzubieten. Da gibt es nicht "die Qualität" sondern "das Angebot für…". Und in der Theologie? Dort habe ich gelernt, dass es im Bereich der Beziehungen viele Begriffe gibt. Papst Benedikt nennt in seiner Enzyklika "Deus Caritas est" etwa drei Begriffe für Liebe: Eros, Freundesliebe (Philia) und die Nächstenliebe (Agape bzw. Caritas). Aber auch das ist mir noch zu wenig. Vermutlich, weil ich es zeitlich immer noch zu statisch finde.

Liebe ist für mich etwas, dass sich immer wieder ändert. Mit Kolleginnen und Kollegen ringe ich manchmal "leidenschaftlich" um eine Frage. Ich kann nahestehenden Menschen, die einen Fehler gemacht haben, im Gespräch meine Meinung sagen und sie trotzdem gegenüber Anderen loyal verteidigen. Freunden, die krank sind oder Liebeskummer haben, stehe ich treu zur Seite. Und mit den Jugendlichen gehe ich solidarisch demonstrieren – alles ganz viele weitere konkrete Facetten von Liebe. Liebe ist dynamisch, kann laut und leise, braucht nah und fern, Empathie und Klugheit, braucht mal eine Party, mal einen Spaziergang am Abend, ab und zu ein gutes Essen und manchmal Taschentücher oder/und eine Flasche Wein.

Nur eines ist Liebe nicht: gleichgültig. In 1 Kor 13 schreibt Paulus, dass alles, alle Leistungen, nichts wären, hätte er die Liebe nicht. Ich habe diesen Gedanken härter formuliert gelesen: "Es gibt drei Arten von Hölle. In die eine, oberste, kommen die Menschen, die gesündigt haben, weil sie zu viel geliebt haben. In die zweite kommen die, die gesündigt haben, weil sie zu viel gehasst haben. Und in die dritte unterste Hölle kommen diejenigen, die gesündigt haben, weil ihnen die anderen gleichgültig waren." Wer nicht liebt – und manchmal auch hasst –, wem alles gleichgültig ist: Was für einen Wert haben dessen Beziehungen und Taten?

Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, es ist Gleichgültigkeit. Und nicht umsonst haben alle schrecklichen Systeme immer zuerst, vor ihren Grausamkeiten, die anderen Menschen entmenschlicht, sie sprachlich damit aus dem Setting der menschlichen Gefühle rausgenommen und zu Tieren oder Objekten gemacht. Das funktioniert bis heute: "Flüchtlingswellen" oder "Ziele militärischer Spezialoperationen" sind vieles, aber keine Menschen, niemand, den ich lieben oder hassen kann und soll. Liebe, Nächstenliebe, Erotik, Treue, Freundschaft, Solidarität, Loyalität, Gemeinschaft – allen Begriffen ist gemein, dass es da um mindestens zwei Menschen geht, die etwas "voneinander wollen". Da geht es um Bedürfnisse, um ein Bekenntnis und um Perspektiven.

Deswegen ist es Jesus am Schluss, bei seinem Abschied, so wichtig, deswegen wiederholt er es noch einmal im Imperativ: "Liebt einander!" Wenn der Kompromiss nichts kostet, das Treffen weder freut noch reut, dann sind wir aus der Beziehung und dem Erbe Jesu ausgestiegen. Wir dürfen nicht abstumpfen als Christen, nicht zulassen, dass uns der oder die andere egal ist. All unser Engagement in der Kirche, all unsere Spenden – wenn wir dabei nicht zulassen würden, dass wir betroffen sind oder angerührt, erfreut oder auch mal verärgert, es wäre nichts ohne diese bunte Liebe.

Sr. Birigit Stollhoff CJ

Danke an katholisch.de, wo dieser Text zuerst erschien, für die Möglichkeit der Übernahme.