Die Hoffnung ist nicht bequem

„Nicht müde werden, sondern dem Wunder, leise wie einem Vogel, die Hand hinhalten."

 Hilde Domin 

Was ist ein Wunder, liebe Leserinnen und Leser? Und haben Sie schon mal eines erlebt? Und wie geht das? Wie geht dieses „wachsam sein“, dass Jesus im Evangelium einfordert? Wie haben Abraham und Sarah das geschafft im Alten Testament?

Es geht um Vertrauen, Gottvertrauen, Hoffnung

Wikipedia sagt, ein Wunder ist ein Ereignis, dessen Zustandekommen man sich nicht erklären kann. Katholischerseits widersprechen wir da mit vielen Männer und Frauen aus der Bibel und all den Heiligen: Gott kann Wunder wirken und Gott wirkt Wunder. Das nennen wir „Gnade“, oder den „Heiligen Geist“. Wir Katholiken und Katholikinnen machen dafür Wallfahrten und bitten Fürbitten. Und üben uns gleichzeitig darin, uns Gottes besserem Wissen und seiner Fürsorge bedingungslos anzuvertrauen. Das klingt paradox. Aber es zeigt, worum es bei einem Wunder auch geht: um Vertrauen, Gottvertrauen, Hoffnung. Alle drei sind, wie Hilde Domin, scheue Vögel. Hoffnung kann ich nicht erzwingen und oft ist sie müde, hat sie blutige Füße. Die Hoffnung, die große Liebe zu finden im Tinder-Dschungel, fühlt sich manchmal vielleicht peinlich an. Das Selbstvertrauen, als Migrant eine Stelle zu finden, selbst wenn man nicht perfekt deutsch spricht, muss sich gegen Statistiken und Ablehnungen wehren – fast unmöglich. Das Gottvertrauen, dass die Diagnose zumindest lautet: heilbar, ist fragil im Angesicht von Blutwerten, Diagnosegeräten und den Geruch von Klinikfluren.

Hoffnung hatte ich mir bequemer vorgestellt

Manchmal sind wir zu müde, noch zu hoffen, die Hand zittert, fällt herunter. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir manchmal eine viel zu feste Vorstellung davon haben, wie dieser Vogel aussieht. Wir meinen vielleicht, Gottvertrauen und Selbstvertrauen sei einfach, eindeutig: „Das ist die Chance! Das ist das Wundermittel! Das ist Ihre Lösung.“ Und dann erkennen wir den Wunder-Vogel nicht.

Ich durfte selber ein kleines Wunder erleben, nachdem ich die Hoffnung fast aufgegeben hatte. Und der Vogel hieß: Herausforderung! Fastenwandern! Nach jahrelangen Kämpfen um die Gesundheit hat sich da eine ungewöhnliche Hilfe für mich aufgetan: Fasten in Gemeinschaft und Wandern durch schöne Landschaft als „Reset-Knopf“ für den Körper. Nur das erste Mal, die erste Fastenwanderwoche war eine harte Umstellung. Hoffnung für die Gesundheit hatte ich mir irgendwie bequemer vorgestellt. Aber eben: Hoffnung ist nicht bequem. Sie kann ein ehrliches Wort im Streit sind. Eine unsympathische Person, eine unmögliche Aufgabe. Und genau da beginnt das Wunder: Wenn die Grenzen von vermeintlich Möglichen und Unmöglichen verschieben. Wo ich etwas mache, was ich mir alleine nie zugetraut hätte.

Zu viel Selbstvertrauen führt oft in den Abgrund

Ist Hoffnung dann nur persönlich? Nur eine Frage der Einstellung? Es gibt ein anderes Sprichwort aus der islamischen Spiritualität, dass ich auch sehr gern verwende: „Du kannst ein Kamel ruhig der Obhut Gottes anvertrauen, aber binde es vorher an einen Pflock fest.“ Ist das jetzt das Gegenteil von Gottvertrauen – kalkulierte Sicherheit und Planung? Ich finde, es ist eine kluge Unterscheidung. Und gerade, wenn es gefährlich wird, sind Hoffnung und Gottvertrauen für mich oft die letzte Lösung. Zu viel Selbstvertrauen ist oft der sichere Schritt in den Abgrund. Vor dem Pilgerweg sollte die sorgfältige Planung von Weg und Können stehen, sonst endet der nicht am Wallfahrtsort, sondern in der Arztpraxis. In festgefahrenen Konfliktsituationen auf ein Wunder hoffen, kann auch bedeuten, sich der eigenen Verantwortung und den Mühen einer Konfliktlösung etwa im Rahmen einer Mediation zu entziehen. Und Gottvertrauen ersetzt in unserer Gesellschaft leider keine Finanzplanung und finanzielle Absicherung. Gott hat uns auch einen Verstand geschenkt und es kann auch eine Sünde sein, den nicht zu benutzen.

Gott "macht Sinn"

Das gilt auch gesellschaftlich: n unserer aktuellen politischen Situation darauf zu hoffen, dass etwa rechtsextreme Parteien und Politiker „einfach so verschwinden“, dass ein Krieg „einfach so“ aufhört und dass Frauen in vielen Ländern ihre Rechte „einfach so“ zurückbekommen, ist nicht ein Ausdruck von Hoffnung, sondern verantwortungsloser Resignation. Und an solchen Stellen wird Jesus in der Bibel oft persönlich, direkt. Und vielleicht ist es das, was Gott in diesen Tagen mehr von uns braucht: Sich angesprochen fühle, aktiv werden. Wenn ich eine Gefahr sehe, kann ich tatenlos zusehen. Oder ich kann Maßnahmen ergreifen. Ich kann bei ausländerfeindlichen Sprüchen widersprechen, ich kann wählen gehen. Ich kann mich politisch engagieren und demonstrieren. Ich kann Geld an Hilfsorganisationen spenden. Ich kann manche Produkte nicht kaufen. Und dann ist es nicht wichtig, wieviel das eigene Tun tatsächlich bewirkt. Es gibt noch eine andere Dimension von Glauben und Hoffnung – und die hat der tschechische Politiker Vaclav Havel schön beschrieben: „Hoffnung ist nicht der Glaube, das etwas gelingt. Sondern die Gewissheit, dass es einen Sinn hat, egal, wie es ausgeht.“

Es geht um auch um Sinn. Wir wachen, wir beten, wir hoffen, wir bestärken uns, weil es „Sinn macht“. Weil Gott „Sinn macht“, weil Lieben sinnvoll ist, weil Friede die einzig sinnvolle Lösung ist. Sinn gibt uns die Kraft, die Hand hinzuhalten und auszuhalten bis ein Wunder kommt: neue Hoffnung, befreites  Gottvertrauen oder das Neuentdecken der eigenen Kräfte.

Text: Sr. Birgit Stollhoff CJ

 

Dieser Text ist zuerst in der Augsburger Sonntagszeitung erschienen.