Rettende Bahnverbindung: Selbst zur Verbindung werden

In der schwedischen Sprache gibt es ein wunderschönes Wort für Entspannung: das Verb "att koppla av". Sich abkoppeln – wie ein Zug, der aufs Ruhe-, Service- oder Abstellgleis gestellt wird. Mal raus aus der Routine, aus der Fahrt von einem Bahnhof zum nächsten, zwischen End- und Zielhaltestellen, immer mit leichtem Zeitdruck und all den verschiedenen Menschen, die täglich in unser Leben ein- und aussteigen.

Bahnfahren ist für mich so eine Möglichkeit, mal abzuschalten. Ich arbeite da fast nie, blicke auch wenig aufs Handy. Meistens schaue ich einfach nur aus dem Fenster. Interessanterweise verunsichert das manchmal Mitreisende. Auf der langen Strecke von München nach Zürich bekam ich dafür schon irritierte Blicke und Bemerkungen.

Bahnfahren ist für mich ein Schwebezustand zwischen zwei Aufgaben, eine kleine Blase in der Zeit, die nur mir gehört.

Ein Symbol für Rettung

Die Bahn ist aber auch ein starkes Symbol in der Not. In der Kirche in Stuttgart-Rot, in der ich mit 16 Jahren getauft wurde, ist das Kreuz über dem Altar aus Eisenbahnschienen. Die Kirche wurde von Flüchtlingen des Zweiten Weltkriegs aus Osteuropa gebaut. Und zur Erinnerung an diese lebensrettende Flucht haben sie in ihrer Kirche das Kreuz aus Eisenbahnschienen gefertigt – als ihr Symbol für Rettung und Neuanfang.

Auch aktuell sind die Eisenbahnschienen unsere zentrale Verbindung zu unseren Schwestern und Brüdern in die Ukraine. Die "Eisenbahnbrücke" ermöglicht die Flucht von Menschen aus den Kriegsgebieten raus in die Sicherheit und den Transport von Produkten – medizinischer Hilfe, Lebensmitteln und auch Waffen – in die Ukraine hinein. Der Chef der ukrainischen Eisenbahn zahlt für dieses zähe Aufrechterhalten der Bahnverbindungen einen hohen Preis. Auch sein Leben ist gefährdet, gilt er doch als ein weiterer Hauptfeind des russischen Präsidenten.

Gleiches gilt für die Bahnfahrer: Jede Fahrt ist bedroht, kann bombardiert oder angegriffen werden. Leben und Tod entscheiden sich hier für viele Menschen auf den Bahnschienen.

Die Karwoche als "Bahnfahrt"

Die Karwoche, und dann ganz besonders das Triduum Sacrum, die Zeit von Karfreitag bis Ostersonntag, ist für mich auch so eine Bahnfahrt. Einerseits ist sie für mich wie eine stille Pause im Jahreslauf. Die Geschäftigkeit wird heruntergefahren, alles wird ein wenig ernster, stiller, gleichzeitig bin ich aufmerksamer in der Liturgie, achtsamer in der Natur.

Und parallel spielt sich in diesen Tagen das Drama des Lebens Jesu und das unseres eigenen Lebens ab. Auch unser Leben ist vom Tod bedroht und wir werden dem Tod nicht entkommen.

Zur Verbindung werden

Die Karwoche macht uns bewusst, wie gefährdet Leben ist, was Menschen einander alles antun können: Verrat, Verleumdung, Folter, Bloßstellung und Hinrichtung. Gleichzeitig liefert sie uns alles, was wir brauchen, um bestehen zu können: Gemeinschaft, eine bleibende Nahrung für die Seele, starke Vorbilder.

Und am Ende dieser Karwoche sind wir Flüchtlinge, die den sicheren Ort erreicht haben – die Auferstehung. Wir dürfen glauben, dass wir am Ende unseres Lebens, nach dem letzten dunklen Tunnel, der Tod heißt, gerettet sind, in Gottes Ewigkeit und Gottes Gedächtnis sicher ankommen werden.

Unser Leben ist gerettet. Und gerade, weil wir uns in den Kartagen mit der Not Jesu und der Not unseres eigenen Lebens beschäftigt haben, dürfen wir dabei dann nicht gemütlich stehenbleiben. Weil Jesus uns gerettet hat, sind wir aufgerufen, in seinem Namen und seiner Liebe zu helfen, selber die "rettende Bahn-Verbindung" zu werden – für die Menschen aus der Ukraine, aber auch für die Menschen in den vielen anderen Staaten, in denen Krieg und Not herrscht.

Am Ende der Karwoche steht die Osterfreude. In manchen Jahren war sie strahlend, in Pandemiezeiten dagegen still. Dieses Jahr wird die Osterfreude vermutlich sehr gedrückt.

Ob uns nach Osterlachen zumute ist? Vielleicht eher nicht. Aber sicher können wir dieses Jahr das Lachen durch die Ostersolidarität ersetzen – durch eine Spende etwa, ein "weniger allein feiern und dafür andere mitfeiern lassen" oder sogar durch ein gemeinsames Essen mit den neuen Mitbewohnern aus der Ukraine.

Ich wünsche Ihnen eine gute stille Woche und ein Ostern, an dem Sie den Segen Gottes erleben und selber Segen für andere sind.

Sr. Birgit Stollhoff CJ