Was für ein typischer Tag!

Sr. Helena zusammen mit Schülerinnen der Mädchenschule in Rumbek. 
© Hartmut Schwarzbach, Missio

 

Heute sind es genau zwei Jahre, die ich hier in Rumbek, Südsudan arbeiten darf, und der Tag beginnt mit der üblichen Gefühlsachterbahn. Eigentlich sollten wir jetzt am Flughafen sein, um eine unserer Mitschwestern abzuholen, die vom Heimaturlaub zurückkommt. Als die Ankunftszeit näher rückt, kommt die Info, dass der Flieger jetzt erst in Juba startet und zuerst nach Aweil fliegt. Das heißt für uns, heimfahren und nach drei Stunden wiederkommen. Aber immerhin fliegen sie heute. Oft werden die Inlandsflüge spontan gestrichen und dann bleibt nur die zehnstündige Autofahrt oder der nächste Flug in drei Tagen.

Zurück im Compound hören wir, dass die Primary School gestern ein Mädchen aus der 7. Klasse heim bringen mussten – sie ist schwanger. Jetzt lebt sie bei ihrer Tante, um vor ihrem Vater geschützt zu sein. Ungewollte Schwangerschaften verletzten die Familienehre. Im besten Fall arrangieren die Familien, dass das Mädchen den Jungen heiraten darf, von dem sie schwanger ist. Oft wird das Mädchen aber auch einfach als 4., 5. oder 6. Frau an einen älteren Mann gegeben, der dann hoffentlich das Kind als sein eigenes großzieht. Uns bleibt jetzt nur noch, das Beste für sie zu hoffen.

Ein Bulle als Geste der Wertschätzung

Kaum ist diese Geschichte erzählt, kommt der Schulleiter der Secondary School. Vor dem Tor wartet ein großer stattlicher Bulle. Der Ehemann unserer letzten Schulsprecherin ist hier, um uns dieses Geschenk zu überreichen. Es ist eine Geste der Wertschätzung und des Dankes. Es heißt, er habe 400 Kühe als Brautpreis dafür gezahlt, dass dieses Mädchen ihn heiratet. Eine große Ehre für die Familie des Mädchens. Sie hat im letzten Jahr ihr Abitur mit Bravour gemacht, war beliebt in der Schule und hatte große Ambitionen. Die Schülerinnen begrüßen sie, ihren Ehemann und den Bullen mit großem Jubel, in den wir nicht richtig einstimmen können. Wir hatten gehofft, sie zum Studieren schicken zu können. Jetzt liegt es einzig in der Gnade des Ehemannes, ob sie ihre Ausbildung fortsetzen und eine Karriere als berufstätige Frau aufnehmen kann. Auch hier bleibt uns nur, das Beste für sie zu hoffen.

Bildung schenkt Selbstbestimmung 

Mein nächster Termin ist, ein paar Interviews in der Schulfarm aufzunehmen. Ich nehme den kurzen Weg entlang an den Klassenzimmern, in denen die Mädchen fleißig Mathe, Geographie und Gesellschaftskunde pauken. Türen und Fenster sind offen. Drinnen hört man die Lehrer unterrichten. Draußen singen die Vögel in den Bäumen, während die Hunde faul in deren Schatten schlafen. Über allem liegt eine ruhige und konzentrierte Atmosphäre.

Schwester Helena Erler CJ an ihrem Arbeitsplatz.

 

In der Schulfarm angekommen, treffe ich zwei Mütter. Einige ihrer Kinder gehen hier zur Schule. Andere sind schon verheiratet oder studieren. Für eine Fundraising-Kampagne frage ich sie, wie wichtig Bildung ist und was Bildung verändert. Beide erzählen mir, dass sie selber nie die Möglichkeit hatten, zur Schule zu gehen. Sie sind dankbar, dass sie Arbeit hier im Garten gefunden haben und so ihre Familien ernähren können. Ihren Kindern und besonders ihren Töchtern wünschen sie ein besseres Leben. Ein Leben, in dem sie selber mitbestimmen und wählen können und um ihre Rechte wissen. Eine der Mütter erzählt mir, dass ihr Ehemann sie ins Gefängnis werfen ließ, weil sie durchsetzte, dass auch die Mädchen zur Schule gehen dürfen. Die Schule bezahlte schließlich die Strafgebühr, so dass sie nach einigen Tagen frei kam. Ihre Dankbarkeit für die Unterstützung der Schule und ihr Kampfgeist, für die Ausbildung ihrer Mädchen zu kämpfen, sind riesengroß.

Halleluja, ein Auto!

Zurück im Büro erwartet mich eine E-Mail. Unser Antrag auf Finanzierung eines neuen Autos wurde akzeptiert. Halleluja! Acht Monate haben wir auf diese gute Nachricht gewartet. In der Zwischenzeit haben wir bereits ein Auto durch einen schweren Unfall verloren, bei dem, wie durch ein Wunder, niemand schwer verletzt wurde. Die verbleibenden Autos hier sind nun im Dauereinsatz – Lebensmittel auf dem Markt und Feuerholz in den Dörfern einkaufen, Mitarbeiter und Besucher vom oder zum Flughafen bringen und täglich Schüler und Schülerinnen für die Englisch- und Computerkurse in der Stadt einsammeln und nach dem Unterricht zurückbringen. Ein riesiger Aufwand, aber ohne diese Hilfe könnte niemand die Kurse besuchen, denn die Transportkosten sind, wie alle Kosten, dramatisch gestiegen in den letzten zwölf Monaten.

Hoffen und Beten für ein Wunder

Während des Mittagessens erreichen uns dann endlich Nachrichten aus Addis Abeba. Eine Gruppe von fünf jungen Südsudanesen – zwei unserer Mitarbeiterinnen, eine Praktikantin, ein Praktikant und unser Diözesanjugendpfarrer – haben die letzten beiden Wochen in Äthiopien darauf gewartet, dass sie ihr Visum für Italien bekommen. Zusammen mit Schwester Orla wollen sie zum Weltjugendtreffen anlässlich des Jubiläumsjahres nach Rom reisen. Die Nachricht, die uns erreicht, heißt – alle fünf Visaanträge wurden abgelehnt. Was für eine bodenlose Enttäuschung. Wir waren so optimistisch, nachdem der Nuntius und das entsprechende Dikasterium in Rom ihre Empfehlungsschreiben vorausgesandt hatten. Wir hoffen und beten nun für ein Wunder.

Später am Nachmittag dann ziehen Regenwolken in der Ferne auf.  Während die Primary School Kinder lachend und lärmend nach Hause stürmen und die Mädchen der Secondary School voller Elan Fußball und Basketball spielen, klappe ich meinen Laptop zu. Was für ein Tag! Aber irgendwie auch typisch. Freude und Leid, Erfolge und Rückschläge liegen hier ganz nahe beieinander. Das pralle Leben eben. Ich bin dankbar, hier zu sein. Und ich bin dankbar für jeden da draußen, der oder die unsere Arbeit hier unterstützt. Möge Gott Sie segnen und uns hier weiterhin jeden Tag mit seinem Segen begleiten.

Text und Bild: Sr. Helena Erler CJ