Zu gut für die Tonne: Gegen Lebensmittelverschwendung

Am 29. September 2020 wird zum ersten Mal der internationale Tag gegen Lebensmittelverschwendung begangen. Weltweit landen etwa ein Drittel aller Lebensmittel im Müll, in Deutschland sind das 18 Millionen Tonnen im Jahr. In die Produktion von Lebensmittel fließen wertvolle Ressourcen. Verschwendete Lebensmittel sind für etwa 10% der globalen Treibhausemissionen verantwortlich.
 
Ein großer Teil der Lebensmittel landet in privaten Haushalten im Müll; im Schnitt wirft jeder Deutsche im Jahr 75 kg weg. Viele Lebensmittel landen aber schon in der Tonne, bevor sie in unserem Einkaufswagen landen, etwa weil sie nicht der Norm entsprechen (z.B. krummes Gemüse) oder weil sie aufgrund von Überproduktion gar nicht erst verkauft werden. Wir haben uns daran gewöhnt, jederzeit alles zur Auswahl zu haben. Die Kunden erwarten, dass sie zehn Minuten vor Betriebsschluss beim Bäcker noch aus einer Vielzahl verschiedener Backwaren wählen können. Hier setzt die Initiative „foodsharing“ (www.foodsharing.de) an, bei der sich Sr. Nathalie Korf CJ engagiert:
 

Sogenannte Foodsaver gehen nach Betriebsschluss in die kooperierenden Betriebe und sammeln ein – „retten“ – was ansonsten entsorgt würde. Anschließend verteilen sie es weiter, damit die Lebensmittel im Magen statt in der Tonne landen. Über 7.500 Betriebe kooperieren inzwischen mit foodsharing. Mehr als 80.000 Foodshaver engagieren sich dort bei über 3.000 Rettungseinsätzen am Tag. So konnten schon unzählige genießbare Lebensmittel gerettet werden. Inzwischen ist foodsharing längst nicht mehr nur in Großstädten aktiv, auch im ländlichen Bereich entstehen neue Kooperationen.

Wie sieht die Lebensmittelrettung über foodsharing konkret aus? Sr. Nathalie gibt uns anhand einer typischen foodsharing-Woche einen Einblick in ihr Engagement:

 
„Dienstag: Auf dem Rückweg von der Arbeit steuere ich zwei Bäckereien an. Ich stelle Fotos von den geretteten Backwaren in meine WhatsApp-Gruppe und hoffe, dass sich während meines weiteren Rückweges schon genügend Interessenten für die etwa 120 Brötchen, 20 Brote und das Laugengebäck gemeldet haben. Der Duft in meinem Auto bringt meinen Magen zum Knurren. Zuhause freuen sich auch die Mitschwestern über leckere Körner- oder Chilibrötchen zum Abendessen. Ich unterbreche mein Abendessen mehrmals, um Backwaren auszugeben. Heute kommen vier Abnehmer*innen. Eine fährt mit der Bahn durch die halbe Stadt hierher. Sie freut sich nicht nur über die Brötchen ,sondern auch über das „Schwätzchen“ bei der Übergabe. Nicht nur ihre Lebenssituation mit ihren Freuden und Sorgen kenne ich inzwischen. Als letztes kommt der Vater einer jungen Familie. Er nimmt immer alles, was übrig bleibt und seine Frau verteilt es dann in der Nachbarschaft. Dort wohnen viele Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen. Ihnen gönne ich die Bio-Backwaren vom Handwerksbäcker besonders.
 

Freitag: Am frühen Abend treffe ich mich auf dem Wochenmarkt mit drei weiteren Foodsavern. Wir sprechen ab, wer zu welchem Stand geht und treffen uns dann zum Aufteilen der Lebensmittel. Ein Passant wird auf uns aufmerksam und fragt nach, wer wir sind. Ich erkläre das Konzept von Foodsharing. Er ist begeistert. Ich ziehe meinen gut gefüllten Bollerwagen nach Hause. Heute gibt es Pfirsiche, Trauben, Karotten, Salat,... - und Grünkohl, der sich später als „Ladenhüter“ entpuppt und mich dazu motiviert, meine Kochkenntnisse zu erweitern. Nach einer kurzen Pause startet ein neues Abenteuer: Erstmals sammle ich in Restaurants in einem Einkaufszentrum die übrigen Speisen ein.

Eine meiner treuen Abnehmerinnen begleitet mich und hält die Stellung beim Bollerwagen, während ich ihr ständig neue Behälter, gefüllt mit internationalen Köstlichkeiten, bringe. Sie stellt daraus später ein Mittagessen für die Flüchtlingsmädchen des Mädchen-Treffs zusammen, bei dem sie sich ehrenamtlich engagiert.

Währenddessen wird in der WhatsApp-Gruppe klar, dass es mehr Interessentinnen als Essen gibt und ich einige aufs nächste Mal vertrösten muss. Dass es bald ein nächstes Mal geben wird, hofft auch die Mitschwester, die sich am nächsten Tag über chinesisches Essen freut, während ich das leckere indische Curry genieße und mich freue, dass der Gefrierschrank noch eine Portion zum Mitnehmen auf die Arbeit bereithält.
 
Sonntag: Nachmittags fahre ich zur Filiale eines Selbstbedienungsbäckers, in der ich eine der beiden Betriebsverantwortlichen bin. Wir sind Ansprechpartnerinnen für den Filialleiter und haben den Einsatzplan im Blick. Heute bin ich aber in einer weiteren Rolle aktiv: Ich begleite eine angehende Foodsaverin bei ihrer ersten Einführungsabholung, kläre Fragen und gebe Tipps zur richtigen Ausstattung und zum Verteilen der Lebensmittel. Ich selber bringe meinen Teil gleich nach der Abholung zur Bahnhofsmission, wo die belegten Brötchen und süßen Stückchen sehr gerne von den Besuchern gegessen werden.
 
Neben dem Eigenverbrauch in der Kommunität (wir kaufen kaum noch Backwaren und kochen gerne mit gerettetem Gemüse) ist es mir ein Anliegen, die geretteten Lebensmittel Menschen zukommen zu lassen, die Unterstützung brauchen können. Foodsharing ist jedoch keine caritative Organisation wie die Tafel, sondern eine Umweltbildungsorganisation, die auf Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen und etwas dagegen unternehmen will.
 
Es steht jedem Foodsaver frei, wie er die geretteten Lebensmittel verwendet; nur wegwerfen ist natürlich tabu. Foodsharing ist keine Konkurrenz zu Organisationen wie der Tafel, sondern eine Ergänzung. In manchen Betrieben sind sowohl die Tafel als auch foodsharing aktiv, wobei die Tafel immer den Vortritt hat. Leider gibt es jedoch immer noch sehr viel mehr überproduzierte Lebensmittel als alle in dem Bereich Aktiven zusammen retten können. Es bleibt viel zu tun, denn Lebensmittel gehören nicht in die Tonne, sondern in den Magen.
 
Text und Fotos: Sr. Nathalie Korf CJ

Wie kann ich bei foodsharing mitmachen?

Wer Lust bekommen hat, sich bei foodsharing zu engagieren, kann sich unter https://foodsharing.de/ registrieren. Nachdem man sich ein bisschen eingelesen hat, muss man ein Quiz bestehen und lernt dann in drei Einführungsabholungen fooodsharing ganz konkret und praktisch vor Ort kennen. Danach bekommt man einen foodsharing-Ausweis und los geht es: Viele Betriebsteams warten auf tatkräftige Unterstützung beim Lebensmittelretten.

Jeder kann sich je nach Zeitkapazität einbringen – ganz gleich ob einmal im Monat oder mehrmals pro Woche, ob immer im selben Betrieb oder in unterschiedlichen Betrieben. Wer Fragen hat, kann sich gerne an Sr. Nathalie wenden: nathalie.korf[at]congregatiojesu[Punkt]de