Dürfen, nicht müssen – ein Statement zur Wahl

Wahltage sind für mich Hochfeste der Demokratie und der Menschenrechte, nicht „staatsbürgerliche Pflicht“, genauso wenig wie die Sonntagspflicht.

Wenn ich am Sonntag zur Eucharistie gehe, reihe ich mich ein in die Gemeinschaft aller Christen und bekenne meinen Glauben daran, dass es mehr gibt im Leben, mehr als Schuld und Tod, sondern Hoffnung über alle Grenzen.

Wenn ich mein Kreuz in der Wahlkabine mache, übernehme ich gemeinsam mit allen wählenden Bürgerinnen und Bürgern Verantwortung nicht nur für die Zukunft meines Bundeslandes, sondern auch für sein Erbe und die Gegenwart. Dass weder die Kirche noch die Regierungen perfekt sind und sein werden, ist mir klar. „Glaube und Hoffnung, Trauer und Leid der Menschen von heute“ so formuliert es das II. Vatikanische Konzil. Die Kirche ist in die Welt gerufen und mit ihr wir alle:

Wahlen betreffen mein Leben

Wer bestimmt unsere Gesellschaft? Wer sagt, wer dazu gehört? Wer legt fest, welche Inhalte für Bildung wichtig sind und wer sie bekommt? Wer regelt, woher unsere Energie kommt und wer wieviel verbrauchen darf? Wer sorgt für meine Sicherheit und wie? Wahlen betreffen mein Leben, das Leben meiner Freunde und Nachbarn und die Zukunft. Meine Zukunft mitzubestimmen, ist keine extern auferlegte Pflicht, sondern mein ureigenstes Interesse.

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen… ausgeübt“ (Art 20 GG) Wenn ich am Sonntag zu Wahl gehe, mache ich das dankbar und demütig. Freie, demokratische und gleiche Wahlen sind historisch keine Selbstverständlichkeit, für mich als Frau schon gar nicht. Noch keine 100 Jahre ist es her, dass Frauen in Deutschland zum ersten Mal frei und gleichberechtigt wählen durften, danach kam die Diktatur der Nationalsozialisten und des Kommunismus. Selbstverständlich und sicher ist das Wahlrecht nicht, weltweit schon gar nicht! Weltweit sterben immer noch Menschen für dieses Recht, es gibt immer noch Folter und Inhaftierungen für politische Gegner von Herrschenden.

Einsatz für die Demokratie

Und so sehr mich der Wahlkampf dieses Jahr mit seinen Parolen, plumpen Bildern und Maßkrug-Weisheiten genervt hat: In anderen Ländern ganz nah bei uns werden Journalisten und Netzaktivisten verfolgt und eingesperrt, wenn sie sich über manchen Parteien kritisch äußern.

„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um Euer Herz gelegt habt. Entscheidet Euch, bevor es zu spät ist.“ So forderte der Widerstandskämpfer Hans Scholl. Heute klingt der Satz aktueller denn je – unsere Demokratie, die Menschenrechte und der Zusammenhalt als weltoffene Solidargemeinschaft sind (wieder) bedroht. Wie soll es weitergehen? Welche Meinungen sollen Macht bekommen?

Es ist unsere Zukunft.

Text und Foto: Sr. Birgit Stollhoff CJ