Verborgene Schätze - Berichte einer Aus-Richtung, Teil 1

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Der äußere Ablauf einer solchen Räumung ist ein Projekt. Es gibt einen Termin, bis zu dem der Raum leer sein muss. Der Ablauf ist zu planen.


Klar war zu Beginn: Der Inhalt der Bibliothek ist nur oberflächlich bekannt, und einiges ist sehr wertvoll, zumindest von den historischen Buchbeständen. Es sind Bücher, die es auf der Welt nur sehr selten oder überhaupt nur einmal noch gibt. Aber wir können im Archiv nicht einfach sicherheitshalber alles behalten. Also müssen wir sortieren. Wir begannen, indem wir einen Teil historischer Bestände, für die es keine Kataloge gab, Buch für Buch erfassten und bewerteten. Dabei halfen Monika Müller-Schauenburg und Dr. Anette Löffler und arbeiteten sich in jeweils etwa zwei Wochen durch hunderte von Büchern.

Das Aussortierte kam in Kartons und sortiert an einen neuen Lagerort, Kiste für Kiste. Als nur noch die modernen Bestände in den Regalen standen, begann die Solo-Arbeit: Ungefähr vier Wochen lang war ich alleine, für eine neue Phase des Sortierens. Frühmorgens bis spätabends kletterte ich die Leitern an den Regalen herauf und herunter, und schaute jedes Buch, bevor es auch in eine Kiste und an einen neuen Ort kam, immerhin soweit an, dass ich beurteilen konnte, in welchen Karton es kommt.

Getrennt wurden die Bücher nach

A. Bücher von vor 1900, die nicht beim Altbestand gestanden hatten (Archivgut),

B. Behalten aus anderen Gründen (Sammelgebiete),

C. Abgeben an verschiedene Stellen nach verschiedenen Kriterien,

D. Entsorgen.


Diese simple Sortierung erfordert trotzdem, sehr schnell inhaltlich zu beurteilen. Und sie brachte mit sich, dass ich in die vielen Bücher, in die seit Jahrzehnten niemand mehr hineingeschaut hat, wie in einem großen Kino-Durchgang, mit meiner buchwissenschaftlichen Sachkenntnis hineinschaute. Für jedes vielleicht nur für Sekunden, eine kleine Berührung, wie ein Schmetterling an der Blüte. In der Kürze brauchte dennoch natürlich jedes Buch die zutreffende Beurteilung aufgrund von ganz vielen Kriterien, verantwortlich für sein weiteres Schicksal. Ich habe den Begriff sonst noch nie verwendet für etwas, was ich getan habe, aber hier finde ich ihn passend: Speed-Dating mit 25.000-den Büchern aus vier Jahrhunderten.


Diese minimale Sorgfalt lohnte sich sehr. Nicht nur wurde für viele Bücher eine neue Destination gefunden. Sondern für mich war es auch wie eine große Reise durch Themen der letzten Jahrzehnte. Viele, viele, viele geistliche Texte die ich noch nie gesehen hatte! Berührt haben mich die jetzt noch Herzklopfen ausstrahlenden Publikationen aus der Zeit während des letzten Konzils und die aus den Jahren der allmählichen Eroberung der Bibel als einem Buch für heutige Fragen. Ich habe danach studiert, das war für mich alles schon Geschichte gewesen, die man mit Abstand betrachtet. Es berührte mich. Neben der kontinuierlichen körperlichen Arbeit war die Zeit doch sehr konzentriert und still, auf den Leitern und mit den Kisten unterwegs durchs Haus. Die Hände wurden zehnmal am Tag rabenschwarz, die Schürze war erstmals seit Jahren in meinem Leben unverzichtbar, ich wurde müde – und doch gehörten diese Tage seltsam überraschend zu den reichsten meines Lebens. Der Zeitplan war eng, und der Vorgang war dennoch für mich schön. Und ich wunderte mich selber darüber.   


Als ich fertig war, blühten draussen die Kirschen.

Dann kam der Tischler und baute auch noch die leeren Regale ab. Dabei fand er noch vier Bücher, die ganz oben auf verschiedenen Brettern ungesehen verblieben waren. Sie sind in ihrer Verschiedenheit irgendwie charmant und repräsentativ für etwas, was mir in den Wochen zuvor in etwa 10 Sekunden nacheinander vor Augen kam:

 

  • Gott läßt sich nicht verbannen – meine Erfahrungen mit dem Marxismus (Pachman).
  • Ein Blumenstraß, der Himmelskönigin gebunden – Maiandachten für Kirche und Haus.
  • Die drei Falken (Bergengrün).
  • Zwölf Jahrhunderte Literatur in Bayern (Schulbuch).

Text und Bilder: Sr. Britta Müller-Schauenburg CJ